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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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Allzweckwaffe war diejenige, gedruckte Worte zu zitieren.
    »Patrick«, begrüßte er mich lächelnd und hielt mir die linke Hand entgegen, weil die rechte haltungsbedingt (sie gehörtezum Ellbogen auf dem Dach) zu weit von mir entfernt war. »Fehlt nur noch Simon.«
    Ich schüttelte nickend die angebotene Hand – Simon war tatsächlich noch nicht da – und ging zum Heck des fetten Bockels, um meinen Rucksack in den gut gefüllten Laderaum zu stopfen. Da stand Mark und musterte die Beladung skeptisch. Mark Rosen. Ich wusste kaum mehr über ihn als über Henner, nicht einmal sein Alter – ich schätzte ihn auf Anfang dreißig; er wirkte in gewisser Weise von innen jugendlich. Kompakt, sogar ziemlich muskulös gebaut, ohne unattraktiv zu sein, etwas kleiner als ich, dunkle, buschige, kurz geschnittene Haare. Gute Rückhand, prinzipiell brauchbares Stellungsspiel, einfallsreicher, origineller Einsatz, ohne jede Rücksicht auf sich selbst, kraftvolle Schläge, aber zu wenig grundsätzliches Interesse am Spiel, das dann auch noch schnell abflaute. Mit Mark spielte man am Anfang Doppel. Während der ersten zwanzig, dreißig Minuten dominierte er auf dem Spielfeld, erreichte fast jeden Ball, überraschende Lobs genauso wie präzise Schmetterbälle, aber danach ging es mit ihm rasant bergab. Da wir die Besetzungen auslosten, war es reine Glückssache, ob man Mark anfangs im Team hatte oder nicht.
    Er umarmte mich, was mich ein wenig überraschte, denn diese Form von Intimität hatte es bei den dienstäglichen Badmintonrunden nicht gegeben.
    »Urlaub«, sagte er, ein bisschen aufgesetzt-fröhlich, was wahrscheinlich daran lag, dass er die Idee im Moment ihrer Ausführung genauso blöd fand wie ich auch. Ich nickte nur.
    Es war warm, die Sonne schien, der Himmel sah eher nach Mittelmeer aus. Gutes Wetter für Urlaub auf dem Wasser. Ich hatte keine Ahnung, was das genau bedeutete. Meine Bootserfahrungen beschränkten sich auf die Dampferfahrten mit meinen Eltern, in einer Zeit, als ich noch nach Kinderschokolade und nicht nach Mousse süchtig war und Mädchen für eine Tierart hielt, und außerdem auf die drei, vier Tretboottouren,die ich später – mit Mädchen, als ich sie nicht mehr für eine Tierart hielt – unternommen hatte.
    Drei Leute, die ich seit knapp zwei Jahren einmal pro Woche für anderthalb Stunden traf, würden mit mir zehn Tage auf einem Boot verbringen – auf engem Raum, wie ich annahm –, und in diesem Moment war mir die Sache peinlich. Mir war die Tatsache peinlich, dass ich hier hinter diesem teuren Auto stand. Ich wünschte mich fort, zum Beispiel ins Allgäu, um Rosa zu fragen, wo ihre Tochter ist. Mark sah auf die Uhr und griff dann zum Telefon. Ich überlegte währenddessen, welche Krankheit, die als Hinderungsgrund infrage käme, urplötzliche und von außen unsichtbare, aber gut vorzutäuschende Symptome hatte. Es fiel mir keine ein.
    »Simon fehlt«, sagte Mark erklärend, während er die Gesten vollführte, mit denen man heutzutage Telefone bedient. Dann hielt er sich das Teil ans Ohr, Sekunden später zog er die Augenbrauen hoch. »Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar«, zitierte er.
    Henner kam zu uns. »Wo steckt Simon?«
    Wir zuckten synchron die Schultern.
    Das taten wir auch eine Stunde später noch. Simon kam nicht, Simon war vorübergehend nicht erreichbar.
    »Welche Nummer hast du gewählt?«, fragte ich Mark.
    »Hä? Die von Simon.«
    Ich lächelte. Simme , wie er gerne genannt wurde, hatte mir mal in einer Spielpause das komplizierte System zu erklären versucht, nach dem seine telefonische Kommunikation organisiert war. Er besaß mehr als ein Dutzend billiger Mobiltelefone, die allesamt mit Prepaid-Karten – er nannte das »Praypaid« – ausgestattet waren. Es gab eines für die Familie, eines für »Mädels«, eines für Noch-Freunde, eines für die Freunde, für die er mal gearbeitet hatte, eines für Kumpels, eines für Bekannte, eines für Lieferanten, eines für Lieferanten, die noch Geld von ihm zu bekommen hatten, und insgesamtfünf für die verschiedenen Zustände, in denen sich seine Kunden befanden – die Palette reichte von »früher Begeisterung« bis zu jenem, in dem sie ihn nur noch zur Hölle wünschten, vorzugsweise mit einer Maurerkelle bis zum Anschlag im Schließmuskel. Die Mehrheit, wie er mir lächelnd gestanden hatte.
    Wir verglichen die Rufnummern, jeder von uns dreien hatte eine andere, aber keine funktionierte.
    Henner sah auf die Uhr.
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