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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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den flachen Bereich des anderen Seeufers markierte. Unbeirrt und sehr zielstrebig zog das Schiff seinen Kurs in Richtung Schilf, vom Steg erklangen erst Rufe, dann Schreie, aber das beeindruckte offensichtlich niemanden.
    Zwei Minuten später schob sich das Boot in die Schilfplantage, verschwand zur Hälfte darin, wurde dann ruckartig langsamer, wobei sich der Bug anhob, anschließend neigte sich das Teil etwas zur Seite. Der Motor schrie bis zu uns, gute achtzig Meter entfernt, dann tauchten die beiden Frauen an Deck auf und fuchtelten mit den Händen. Der Chefeinweiser enterte unser Schiff, schob Henner vom Steuer weg, befahl, die Leinen zu lösen, was Mark und ich fröhlich grinsend taten, und kurz darauf lag unser Kahn hinter dem havarierten Schiff der beiden alten Mädels, die an Deck standen, sich aneinander festhielten – und weinten.
    »Wir träumen seit Jahren von so einem Urlaub«, schniefte eine, als hätte jemand von uns gefragt.
    »Sie müssen langsam machen. Das ist kein Auto.« Der Chefeinweiser zog die Stirn kraus und kletterte von unserem Boot auf das andere, dann hantierte er mit ein paar Seilen und kehrte zurück. Der Motor der Dahme donnerte, aber Sekunden später war der Mädelskahn frei. Der Mann manövrierte ein bisschen – ein bisschen beeindruckend –, und plötzlich lagen die Schiffe nebeneinander. Wieder stieg er um, legte einer Frau den Arm auf die Schulter und redete leise auf sie ein. Uns gab er Zeichen, in den Hafen zurückzukehren. Mark lachte laut.
    »Darf ich mal probieren?«, fragte ich so höflich wie möglich, Henner nickte schweigend und starrte zum anderen Boot hinüber.
    »Du könntest sie segnen«, schlug Mark vor und sah dabei zum Himmel. Der Pfarrer reagierte nicht.
    Ich gab vorsichtig rückwärts Gas, wartete, bis sich der Topf ein wenig bewegte, schlug dann das Ruder kräftig ein und gab vorwärts Schub. Der Kahn drehte, ich lenkte wieder geradeaus und zielte auf den Hafen. Bis dahin ging das ganz gut. Das Ding reagierte sehr gemächlich, man musste ordentlich vorhersehend agieren.
    »Ein Fachmann«, lobte Mark.
    »Na ja. Wir müssen noch in die Lücke.«
    Verblüffenderweise klappte es. Ich stoppte auf, was tatsächlich gelang, weil ich nicht wie ein Irrer – also wie Henner – am Hebel zog und schob, ich schlug das Ruder ein, gab vorsichtig abwechselnd vor- und rückwärts Gas, bis das Heck zur Lücke zeigte.
    »Alle Achtung«, murmelte der Pfarrer, aber er sah dabei nicht sehr fröhlich aus.
    Der Rest war ein Klacks. Etwas Gas rückwärts, Henner und Mark am Heck, Mark sprang schließlich auf den Steg. Okay, es knirschte und wackelte, aber die Keglertruppe, die gegenüber ihr Boot belud, applaudierte. Mark und ich verneigten uns. Gleichzeitig legte das Damenboot wieder an, natürlich vom Fachmann gesteuert, beide Frauen kletterten von Bord und fielen sich auf dem Steg heulend in die Arme.
    »Wir können immer noch Fahrrad fahren. Und nur auf dem Boot übernachten«, sagte eine. Die andere nickte stumm und sah zum Schiff, als wäre das eine Giftschlange.
    »Proviant einkaufen«, erklärte Henner, ließ die alten Mädels jedoch nicht aus den Augen.
    »Proviant«, wiederholte Mark.Am Ortseingang gab es diese übliche unselige Ansammlung von Großgeschäften – einen Baumarkt, einen Supermarkt, einen Drogeriemarkt, ein Billig-Möbelding und zwei Dönerbuden. Henner zog einen Einkaufswagen hervor, Mark einen weiteren.
    »Wozu das?«, fragte Henner.
    »Wie viele Kisten Bier willst du mit einem Wagen transportieren?«, fragte Mark zurück.
    »Eine?«
    »Und was trinken wir morgen?«
    »Ein zweites Bier?«
    Mark stoppte und legte ein ernstes Gesicht auf. »Hör mal, Freund Evangelium. Das hier ist Urlaub. Du kannst machen, was du willst, du kannst rund um die Uhr beten und meinetwegen Waisenkinder in Schleusen auflesen. Aber ich will meinen Spaß haben. Dazu gehört, dass ich, wenn ich Bock darauf habe, ein gepflegtes Bier in den Hals kippe. Keiner verlangt, dass du das auch machst, aber ich will das, also tue ich es. Comprende?«
    Henner öffnete den Mund, um zu einer Replik anzusetzen, nickte aber stattdessen langsam und drückte die Schultern durch. Dann schob er seinen Wagen zum Supermarkt-Eingang. Mein Telefon piepte, eine Kurznachricht von Simon.
    Noch zwei Stunden. Wo kann ich aufs Boot kommen?
    Ich versuchte gar nicht erst, ihn anzurufen, und schrieb als Antwort: »Keine Ahnung.«
    Der Einkauf verlief originell. Henner, ganz der Familienmensch, griff nach Obst,
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