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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Autoren: Maggie Shipstead
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der Hände von dem Buch, um sie zum Kopf zu heben. Sie lag vollkommen still. Er glaubte nicht, dass sie weinte. Nach einer langen Zeit ließ sie die Hände aufs Schlüsselbein sinken und starrte in die Zweige hinauf. Winn wurde selten weich ums Herz, und wenn, dann geschah es, ohne dass er recht wusste, woher das Gefühl rührte. Er streckte die Hand aus und legte sie an die Fensterscheibe. Wie sie dort im kühlen Schatten lag, wirkte Livia wie eine Friedhofsstatue. Er klopfte schnell dreimal ans Fenster, und dann noch einmal lauter, aber sie bewegte den Kopf nicht. Seine vom Puder bestäubten Finger hinterließenAbdrücke auf der Scheibe. Er wischte sie weg. Über ihm setzte Getrampel ein. Als er zu Livia in den Garten gehen wollte, war die Küche voller Frauen.
    »Tag, mein Schatz«, sagte er und küsste Biddy flüchtig auf die Wange.
    »Ich will die Blumen dort haben, damit ich nicht vergesse, sie nachher ins Hotel zu bringen«, sagte sie.
    »Du vergisst sie bestimmt nicht. Ich dachte, ich bin am Amazonas gelandet.«
    »Nach der Hochzeit werde ich den Kopf wieder freier haben. Bis dahin wirst du Blumen im Weg erdulden müssen.«
    Winn ging von einer zur nächsten und drückte ihnen geschäftsmäßig Küsse auf die Wangen: von Daphne zu Biddys Schwester Celeste, die am Kühlschrank stand und mit dem Finger eine Olive aus einem Glas fischte. Agatha und die anderen Brautjungfern standen am Küchenbord, und während er sie küsste, sagte er: »Agatha, doppelt hält besser, hallo, Piper, Dominique.«
    »Wie war die Fahrt?«, fragte Biddy.
    »Gut. Ich bin schön früh losgekommen. Das Meer war windstill.«
    Celeste drückte ihm ein halb volles Glas in die Hand und stieß mit ihm an. Auf dem Grund schwammen drei Oliven. »Ihr habt keine Martinigläser«, sagte sie. »Aber abgesehen davon ist hier bisher alles ganz wunderbar.«
    Er stellte das Glas auf den Stapel mit Illustrierten. »Darf man sich etwa schon einen genehmigen?« Er trank inzwischen selten harte Sachen, und tagsüber schon gar nicht, doch wenn er Celeste daran erinnerte, würde sie zum x-ten Mal wissen wollen, warum, und er hatte keine Lust, ihr von seinen Kopfschmerzen zu erzählen und zu erklären,dass er sich keinesfalls über Leute erheben wolle, die sich täglich abzufüllen begannen, sobald die Sonne den Zenit überschritten hatte, und mit dem Trinken erst wieder aufhörten, wenn ihnen die Füße den Dienst versagten und sie sich auf der nächsten Couch oder dem nächstmöglichen Bett ablegten.
    »Kommt drauf an, wann für dich der richtige Zeitpunkt ist«, sagte sie. Ihr Lächeln beschränkte sich auf den Mund und dessen unmittelbare Umgebung. Biddy hatte ihm erklärt, dass Celeste es mit Falteninjektionen übertrieben hatte, aber das änderte nichts an der unheimlichen Wirkung.
    Er wandte sich ohne Kommentar den Brautjungfern zu. »Geht es euch gut, Mädels?«
    »Ja«, lautete die Antwort im Chor. Die Mädchen lehnten lässig am Spülbecken, Agatha und Piper blond und klein, so wie Daphne, Dominique groß und dunkel. Dominique überragte die anderen deutlich. Ihre Eltern waren koptische Ärzte aus Kairo, und während ihrer Zeit in Deerfield hatte sie häufig ihre Ferien bei den Van Meters verbracht. Ihr Gesicht war ebenmäßig aber ernst, eine anmutig gerundete Stirn über steil gewölbten Augenbrauen, die Nase mit einem Höcker in der Mitte, der Mund groß mit einem nicht unattraktiven Zug von Traurigkeit um die Lippen. Schultern und Rücken waren noch muskulös aus ihrer Zeit als Schwimmerin. Sie trug ihr Haar kurz, es war weder arabisch gelockt noch wirklich afrikanisch kraus. In den letzten Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen. Nach dem College in Michigan war sie nach Europa gegangen (Frankreich? Belgien?), um Köchin zu werden. Er hatte Dominique gern; ihm gefielen ihre Kraft und ihre Kreativität in der Küche, aber er hatte nie richtig verstanden, warum sie mit Daphne befreundet war,die sich weder für Sport noch fürs Kochen interessierte und neben ihr fast zu verschwinden schien.
    Dominique deutete mit einem langen Finger aus dem Fenster. »Dein Garten mickert ein bisschen.«
    »Das hat Biddy auch schon gesagt. Ich habe ihn mir noch nicht angeguckt.«
    »Hat das Wild alles abgefressen?«
    »Es ist schrecklich mit den Hirschen. Die sind wie die Ziegen. Aber Biddy meint, diesmal waren sie es nicht.«
    »Ja, ich habe kaum Fraßspuren gesehen, höchstens ein bisschen am Rand. Und es sind auch nicht genug Blattläuse und anderes Ungeziefer zu
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