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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Autoren: Maggie Shipstead
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fischte die Zeitung aus einer Pfütze. Ihm fiel auf, dass aus der Mauer ein paar Steine auf die Grasböschung an der Straße gefallen waren. Er ging hin, um sie wieder einzusetzen und schüttelte unterwegs das Wasser von der Plastikhülle seiner Zeitung. Der hohle Klang von Stein auf Stein war angenehm, und alser fertig war, streckte er einen Augenblick im Stehen seinen Rücken und bewunderte die schlichte, ansprechende Front seines Hauses. Nichts, und sei es noch so elegant und neu, würde ihn je aus dieser ruhigen vornehmen Wohngegend fortlocken; die Häuser mochten groß sein, aber sie waren geaschmacksvoll hinter Bäumen versteckt, und wie in seinem gab es in vielen feine Teppiche und knarrende, alte edle Dielen.
    In diesem Haus in Connecticut waren sie zu Hause, wie auch in dem Haus auf Waskeke, das aber bei aller Vertrautheit immer seinen Neuigkeitswert behalten hatte, so wie er sich das bei einer Langzeitgeliebten vorstellte. Waskeke war seine Zuflucht, der Ort in seinem Leben, wo die Familie am stabilsten und harmonischsten war. Dass diese vielen Leute, diese ganzen Hochzeitsgäste in seine Privatsphäre eindrangen, war ihm nicht recht, aber er hätte Daphne kaum versagen können, auf der Insel zu heiraten. Es sei auch ihre Insel, hatte sie gesagt, und man solle die Schönheit von Waskeke mit anderen teilen. Wie schön es wäre, wenn ihn die Fähre in eine Welt zurückbringen könnte, in der die Mädchen noch Kinder und sie nur zu viert auf der Insel waren. Das Problem war nicht, dass er sich nicht für Daphne freute – natürlich freute er sich – oder dass er die feierliche Bedeutung der Übergabe seiner Tochter in die Hände eines anderen Mannes nicht zu schätzen wüsste – natürlich tat er das. Er würde seine Rolle mit Freuden wahrnehmen, doch jetzt, wo es unmittelbar bevorstand, erschien ihm das Wochenende wie eine Prüfung, nicht wie eine schlichte Übung in familiärer Friedenspolitik und verordneter Fröhlichkeit, sondern als tückisches Puzzle, gespickt mit Gelegenheiten, das Falsche zu tun oder zu sagen.Er fuhr durch grün belaubte Straßen nach Norden, durch Orte mit Holz- und Backsteinhäusern an Berghängen über engen Häfen. Der Morgen war hell und golden, im Auto hing der Duft nach Kaffee und einer Spur von Biddys Parfum. Güterzüge rumpelten über Eisenbahnbrücken; ferne Molen ragten wie Arme ins Meer. Über die Windschutzscheibe kreisten blasse Spektren aus Sonnenlicht. Für Winn gehörte die Umständlichkeit der Anreise mit zum Reiz von Waskeke. Nur wenn er unter Druck stand, nahm er das Flugzeug. Die Langsamkeit der Autofahrt und der Überfahrt mit der Fähre verliehen der Reise mehr Gewicht, rückten die Insel weiter in die Ferne. Als die Mädchen noch klein waren und unterwegs nörgelten oder ihnen übel wurde, war die Fahrt alljährlich eine Katastrophe gewesen, mit Unbilden wie Stau, falsch reservierten Fähren, bösartigen Polizisten und oft genug der Tatsache, dass Biddy nach einigen Stunden einfiel, sie habe die Schlüssel oder die Medizin für eines der Mädchen oder Winns Tennisschläger vergessen. Winn hatte finster dreingeschaut, gebellt und mit dem Ingrimm eines wahnsinnigen Kutschers, der sie alle in die Hölle fuhr, auf die Tube gedrückt, wohl wissend, dass die Ankunft umso schöner sein würde, je schrecklicher die Reise war, und dass er, wenn er über die Schwelle seines Hauses trat, so dankbar sein würde wie ein Pilger, der das Himmelstor durchschreitet.
    Er erreichte den Fährhafen eine Stunde vor der Abfahrt, genau wie geplant, und reihte sich ein in die Wagenschlange an dem Kai, der ins Nichts führte. Vor ihnen nur offenes Wasser und irgendwo hinter dem Horizont Waskeke. Durchs offene Fenster beobachtete er in aller Ruhe die Möwen auf dem Kai. Der Hafen roch wie ein Jahrmarkt, nach Popcorn und gebratenen Muscheln. Als er ein Kind war, hatte seinVater jeden Sommer den Chauffeur für eine Woche in Boston gelassen und war mit ihm allein nach Cape Cod gefahren (wie ungewohnt es gewesen war, seinen Vater am Steuer zu erleben). Damals war man noch rückwärts auf die offene Fähre gefahren, und Winn hatte das immer aufregend gefunden, obwohl sein Vater, der aus der Sache gut hätte ein Drama machen können, den Wagen stets mit lässiger Beiläufigkeit über die schmale Rampe gelenkt hatte. Sie hatten ein kleines Haus auf Waskeke gehabt, keine große Villa wie in Boston, nur ein Cottage am Rand eines Sumpfgebiets mit reichlich Fischen zum Angeln. Doch als Winn in
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