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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Autoren: Maggie Shipstead
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Harvard studierte, war das Cottage verkauft worden, und später hatte jemand es abgerissen und an seine Stelle ein großes neues Haus gesetzt, das anderen gehörte.
    Die Fähre legte mit lautem Rasseln und Kurbeln an und entlud eine Flut von Menschen und Fahrzeugen. Auch Inselbewohner waren darunter, die auf dem Festland einkaufen wollten, aber die meisten waren Touristen auf dem Heimweg. Winn freute sich, sie davonfahren zu sehen, auch wenn natürlich immer Neue kamen. Ein Hafenarbeiter im blauen Overall winkte ihn die Rampe hinauf auf das Autodeck mit seinem Geruch nach Salz und nassem Eisen, und ein anderer leitete ihn in eine schmale Gasse zwischen zwei Holztransportern. Er prüfte zweimal, ob er den Cherokee abgeschlossen hatte und stieg dann hoch auf das oberste Deck, um die Abfahrt mitzuerleben, die so war wie immer – erst das laute Tuten, und dann das langsame Entschwinden der Holzgebäude und Schuppen am Kai und des Mastenwalds im Yachthafen. Vögel und ihre Schatten huschten über die Schaumkronen. Obwohl er nicht zu Nostalgie neigte, wäre Winn nicht überrascht gewesen, neben sich an der Relingverschiedene Versionen seiner selbst zu entdecken: den Jungen neben seinem Vater, den Studenten, der an einem von den Freunden herumgereichten Flachmann nippte, den Junggesellen mit einer Reihe von Frauen, an die er sich kaum noch erinnerte, den Hochzeitsreisenden, den jungen Vater mit einem und dann zwei Kindern auf dem Arm. Mit acht war er zum ersten Mal mit seinem Vater hierhergekommen, und jetzt war er neunundfünfzig. Um ihn herum tuckerte eine ganze Armada von Schiffen aus seiner Erinnerung, und an Bord die früheren Winns, die er hinter sich gelassen hatte. Doch das Wasser jenseits der Reling sah aus wie Wasser überall. Er hätte sonstwo sein können, auf der Bering See oder dem Styx. Wie jedes Mal auf dem Meer kam ihm auch jetzt der Gedanke – was, wenn er über Bord fiele und über diesen unheiligen Tiefen ums Überleben rudern würde?
    So wie die Überfahrt immer gleich begann, ging sie auch immer gleich zu Ende. Nach zwei Stunden erschien ein grauer Streifen Land, der Blau von Blau trennte, dann Leuchttürme, Kirchtürme, Kaianlagen, Molen, die sich ihren Gegenstücken auf dem Festland entgegenreckten. Am Hafeneingang stand ein kleiner Leuchtturm, an dem die abreisenden Passagiere einem alten Brauch gemäß Pennys über Bord warfen. Livia hatte als Kind einmal gemeint, der Meeresboden dort müsse aussehen, als hätte er Schuppen wie ein Fisch, und seither kam Winn immer, wenn er am Leuchtturm vorbeifuhr, dasselbe Bild: ein riesiger Kupferfisch, der unter ihnen schlief und ein Glubschauge öffnete, um den Schrauben der Fähre nachzublicken. Sie legten an, und Winn fuhr summend von der Rampe in das Labyrinth der geschäftigen schmalen Straßen, das einen aus Waskeke Town hinausführte. Schön, wieder auf festem Boden zu sein.An der Einfahrt zu seinem Grundstück stand ein verbeulter Briefkasten, beschriftet mit VAN METER in aufgeklebten Buchstaben. Mit wachsender Vorfreude fuhr er den engen Feldweg entlang, gesäumt von hohen immergrünen Bäumen, die ihn weiterwinkten, bis er im vollen Sonnenschein war. Auf einer Anhöhe im Gras, die wie eine Mönchstonsur aus den Bäumen ringsum ragte, stand das hohe schmale Haus. Die grauen Schindeln und die einfache Fassade wirkten bescheiden und gemütlich und erinnerten an die Quaker-Vergangenheit von Waskeke. Über der roten Eingangstür war PROPER DEWS in ein Bootsbrett geschnitzt, der Name, den er dem Haus gleich nach dem Kauf gegeben hatte. Klar, das Wortspiel mit »dues« und »dews« und der Assoziation von Gebühren beziehungsweise Tau war alt, aber etwas Besseres war ihm nicht eingefallen, und er hatte den Namen des vorigen Besitzers rasch ersetzen wollen. SANDS OF THYME war ihm allzu billig erschienen, da es auf dem Grund überhaupt keinen Kräutergarten gegeben hatte. Den hatte er selbst erst angelegt. Das Haus gehörte ihm seit zwanzig Jahren, seit Livia ein Baby war, und durch die jährliche Wiederkehr in zwanzig Sommern hatte es sich von einer schlichten Wohnstatt in etwas fast Heiliges verwandelt, über dem sein Sommerhimmel in einem fort Purzelbäume schlug. Er stellte seinen Wagen am Hintereingang ab und schaute zu der hübschen, ordentlichen Fensterreihe auf, in deren vielen Scheiben sich schwarz die Bäume spiegelten.
    Irgendetwas schien verändert. Er hätte nicht sagen können, was. Regenrinnen, Fensterläden, Giebel, alles war in Ordnung und
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