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Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Titel: Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Autoren: Ralph G. Kretschmann
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er hatte jedes einzelne Haar für die Rituale gebraucht. In Montpellier hatte er dann erfahren, dass Madame de Facourt hier übernachtet hatte. Sie hatte nicht gesagt, wohin sie wollte, aber Nostradamus war sicher, dass sie nach Rebekka suchen würde. Ihm war die Faszination aufgefallen, die die Vampirin auf die junge Frau ausübte. Hatte sie die beiden Reisenden gefunden? Ruhe fand Michel in Montpellier nicht. Er bekam die bohrenden Fragen nicht aus dem Kopf. Tagsüber war er durch Geschäfte und Besuche abgelenkt, aber abends, wenn er allein in seiner Studierstube war, kamen die Grübeleien wieder. Er vernachlässigte sogar seine Studien. Er hatte auch versucht, Kontakt zu Hassan-i-Sabbah aufzunehmen, aber er konnte den Geist des Alten vom Berge nicht erreichen. Dann ereilte ihn ein Hilferuf aus Avignon. Die Pest war in der Stadt ausgebrochen und man bat um seine Hilfe. Nostradamus packte seine Apotheke zusammen und machte sich unverzüglich auf den Weg. Der Hilferuf kam ihm mehr als recht. Er würde genug zu tun haben, keine Zeit, um trüben Gedanken nachzuhängen. Helfen als Beschäftigungstherapie. Die Pest hatte die Stadt fest im Griff. Das sonst so heitere Avignon erstickte unter den Rauchschwaden der brennenden Leichenstapel und dem Gestank der Menschen, die bei lebendigem Leib verfaulten. Ratten bevölkerten die Straßen, wo sonst Märkte abgehalten wurden und geschäftige Menschen hin und her rannten. Nostradamus wurde umgehend in den Palast gebracht.
    Oh, er würde genug zu tun haben! Die Pest hatte gerade erst begonnen mit ihrem Werk. Sie würde sich ausbreiten, mehr Opfer fordern, Städte entvölkern und ganze Familien ausrotten. Und die sogenannten Ärzte waren unfähig! Sie versuchten ihre Patienten mit Aderlass und Schröpfköpfen zu heilen. Genau so gut hätten sie ihnen Senf unter die Nasen schmieren können, um die Pest zu bekämpfen. Es gab in ganz Avignon nur drei kompetente Ärzte und einer davon war er selbst. Es würde jede Menge Arbeit bedeuten, auch nur ein paar der Menschen zu retten, die hier lebten. Genug Ablenkung für Michel de Notre-Dame. Er begann unverzüglich mit der Arbeit.

87. Kapitel
    Auf dem Grund des Schwarzen Meeres klumpte sich zur gleichen Zeit ein Häuflein Asche zusammen. Die Teilchen schwebten durch das Wasser, leicht, wie Federn in einer lauen Sommerbrise. Sie sammelten sich, fanden zueinander und verbanden sich. Die Teilchen waren weit zerstreut, vom Wind und von den Wellen davongetragen. Aber sie fanden zueinander. Sie zogen sich gegenseitig an, wie ein Magnet Eisenspäne anzog. Die Teile wussten, wohin sie gehörten, fügten sich zusammen zu einem Ganzen. Es würde lange dauern, denn immer wieder wurden Teile vorbeigetrieben, nahmen einen längeren Weg. Doch das verzögerte nur, was geschehen musste. Alles würde sich zu einem Ganzen zusammensetzen, früher oder später. Nichts konnte es aufhalten oder verhindern. Stück für Stück fügte sich alles zusammen. Es mochte Wochen, Monate oder Jahre dauern, die Teilchen würden sich zu dem vereinen, was sie einmal gewesen waren. Was gewesen war, würde auferstehen aus der Asche, zu der es verbrannt worden war.
    Sie saß vor dem Eingang zu der alten Zisterne und löste die Schlinge vom Hals des Hasen, den sie damit gefangen hatte. Ihr Magen knurrte. Sie hatte Hunger. Sie schlitzte das tote Tier mit ihrem Messer auf und holte die Eingeweide heraus. Sie häutete den Hasen und aß sein Fleisch roh. Ein Feuer hätte gesehen werden können, bei Nacht. Bei Tag hätte sie der Rauch verraten und man hätte sie finden können. Aber man durfte sie nicht finden! Anett de Facourt hatte etwas zu beschützen, etwas, das wichtiger war als alles andere! Sie hockte vor ihrem Versteck, Tag und Nacht, schlief nur ein paar Stunden am Vormittag, wenn die Sonne aufgegangen war. Sie wachte. Ihre Kleidung hing in Fetzen an ihr herunter, verdreckt, zerlumpt, zerrissen. Anett war nahezu unbekleidet, obwohl es kalt geworden war in den Bergen rund um Arbucies. Sie spürte die Kälte nicht. Ihr Haar, auf das sie immer so sorgfältig geachtet hatte, hing ihr verfilzt ins Gesicht und ein wahnsinniges Glitzern funkelte tief in ihren Augen.
    Sie sah die Realität nicht, sah nicht ihre zerfetzte Kleidung oder den Dreck auf Armen und Beinen. Sie sah nur die Kugel. Die wundervolle, schöne Kugel! Sie musste geschützt werden! Das Muster war kräftiger geworden, trat stärker hervor. Seit ein paar Tagen war die Kugel wärmer geworden. Sie heizte sich auf,
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