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Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Titel: Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Autoren: Ralph G. Kretschmann
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strahlte ihre Wärme aus und erwärmte so den ganzen Innenraum der riesigen Zisterne. Anett hatte die Kugel in der Mitte platziert. So hatte sie sie immer im Blick, wenn sie in die Höhle sah. Sonst starrte sie hinaus auf das Gelände vor der eingefallenen Zisternenwand. Sie musste auf die Kugel aufpassen.
    Niemand durfte herkommen. Sie würde es verhindern. So wie bei dem Hirten, der vor ein paar Tagen seine Tiere auf die Weide oberhalb der Zisterne hatte grasen lassen. Anett hatte ihn von hinten angesprungen und ihm die Halsschlagader durchgebissen. Noch immer waren Reste des getrockneten Blutes in ihrem Gesicht und den Mundwinkeln. Der Mann hatte ein paarmal gezuckt und gegurgelt, dann war er tot zu Boden gefallen. In der Nacht hatte sie die Leiche weit ins Gebirge getragen. Bei einem überwucherten Hünengrab an einem Waldweg, der kaum benutzt wurde, warf sie den toten Körper ins Unterholz. Sie trieb die Herde hinunter ins Tal, wo sich die Tiere zerstreuten. Sie musste die Kugel schützen! Der Hirte war selber schuld!
    Warum musste er auch hierherkommen? Er hätte sie gefunden! Er hätte die Kugel gefunden! Und das durfte sie nicht zulassen. Sie würde die Kugel beschützen, komme, was da wolle! Anett spürte, dass es nicht mehr lange dauern würde, dann würde es geschehen! Sie wusste nicht genau, wie lange es noch dauern würde, aber es würde geschehen! Unausweichlich. Es würde etwas Wundervolles geschehen und sie hätte es möglich gemacht! Bald. Sehr bald! So lange würde sie wachen. Anett kauerte sich in den Eingang der Höhle und starrte in die Nacht hinaus.

88. Kapitel
    Ich musste dem Pferd eine Pause gönnen. Dass ich selbst auch müde war wie ein Hund, wollte ich mir nicht eingestehen. Es dämmerte und bald würde es Nacht sein. An einem kleinen See schlug ich mein Lager auf. Das Zelt war schnell aufgestellt. Ich hockte mich ans Feuer und atmete durch. Meine Trauer war eine tiefe, graue Schlucht, in die ich stürzte. Und der Sturz nahm und nahm kein Ende. Ich fragte mich, wie lange ich so weitermachen konnte. Die Leere fraß mich auf. Mein Mund war trocken und ich kramte in meinem Beutel nach der Wasserflasche. Dabei berührte ich auch die Flasche mit dem Blutwein. Halef hatte dafür keine Verwendung mehr und hatte sie mir überlassen.
    Zuerst hatte ich sie fortschütten wollen, aber dann hob ich sie lieber noch auf. Die Ereignisse der letzten Monate hatten gezeigt, dass ich jederzeit mit etwas Ungewöhnlichem rechnen musste. War das nicht schon immer so gewesen in meinem Leben? Seit damals, als ich vor dem Drachen gerettet worden war? In der Flasche war noch drei Fingerbreit hoch Blutwein. Ich zog den Korken aus dem Flaschenhals und ließ einen Tropfen auf meine Handfläche fallen. Die Flasche stellte ich neben mir in den Sand und verkorkte sie wieder. Ich führte meine Hand zum Mund und leckte den Tropfen von der Hand ab. Meine Weste, Hemd und Jacke legte ich ab, ebenso die Stiefel. Dann kam das Zittern, die Übelkeit, die Schwärze.
    Das Rauschen in meinen Ohren nahm ab und ich konnte fühlen, wie sich mein Körper veränderte. Ich ging hinunter zum Seeufer, breitete die Flügel aus und stieg in die Luft. Nennen Sie es einen einfältigen Gedanken, aber ich hegte in meinem Inneren die Hoffnung, dass die Verwandlung mir meine Schmerzen nehmen würde, so wie sie meinem Knie die Schmerzen genommen hatte. Beim Fliegen konnte ich für einige wenige Augenblicke die dunklen Gedanken aus meinem Kopf vertreiben. Ich ließ mich treiben, folgte dem Wind und den Wolken.
    Unter mir zogen Felder und Wiesen dahin, Wälder, Seen und Flüsse. Ich weiß nicht, wie lange mich der Wind so vor sich hertrieb, aber irgendwann wendete ich und flog zurück. Ich fand es nicht schwierig, mich an der Landschaft zu orientieren und den Weg zurück zu meinem Lager zu finden. Das Feuer neben meinem Zelt brannte seltsamerweise noch. Ich hatte gedacht, ich würde es erneut anfachen müssen, nach der Zeit, die ich fort gewesen zu sein glaubte.
    Ich landete und ging zu dem noch immer brennenden Feuer, nahm das Fläschchen und ließ einen Tropfen Blutwein in meinen Mund fallen. Die Rückverwandlung war so unangenehm wie die Verwandlung in die Fledermaus-Katze, oder was immer ich darstellen sollte. Aber eine Heilung hatte nicht stattgefunden. Kaum war ich wieder Mensch, musste ich an Rebekka denken. Ich glaubte, sie riechen zu können. Ich glaubte, ihre liebliche Stimme zu hören … „Victor!“ Langsam drehte ich mich um. Ihre
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