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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind
Autoren: Bastian Bielendorfer
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erinnerten eher an die Einführung des neuen »Beauftragten für Verteidigung gegen die dunklen Künste« als an eine Pädagogenansprache:
    »Mein Name ist Monika Marxloh, isch komme aus dem wunderschönen Brandenburg, habe im malerischen Leipzsch Mathematik schtudiert und bin nun eure neue Lehrkraft. Meine Hobbys sind die Lektüre von Kriminalromanen, besonders den Schärlock Holmes, und das Sammeln von Hummelfiguren. … Außerdem spresche isch fließend Klingonisch und habe Spaß daran, mich auf jährlichen Star-Trek-Conventions als Leutnant Uhura zu verkleiden … »Lascht uns zusammen die Untiefen der Gleichungen erkunden, an den Geheimnissen der Geometrie forschen und in die Leitsätze der höheren Algebra abtauchen!«
    In meinem Kopf schwoll ein Bild an, wie Frau Marxloh als eine menschgewordene Teewurst in einem roten Overall Sex mit Captain Kirk hatte. Die Vorstellung allein machte mich fast schwul.
    Frau Marxloh hätte sich auch vor der ganzen Klasse ein Glas Spreewaldgurken in die Pumphose schütten und dazu »Hänschen klein« singen können, schlimmere Prognosen als nach dieser Antrittsrede hätte es auch dann nicht gegeben. Sie war das geborene Opfer, wie ich fand, das Foto im Lexikon neben dem Wort »Loser« würde umgehend durch ein Bild von ihr ersetzt werden müssen.
    Doch ich hatte mich geirrt. Frau Marxloh war nicht im Geringsten so wehrlos, wie ihre plumpe Erscheinung zuerst vermuten ließ.
    Sie war nicht nur eine optische Obskurität, auch ihre Lehrmethodik hatte mehr von der allherrlichen Autorität einer Leninkundgebung als von einer normalen Unterrichtsstunde. Sie trug immer einen fingerlangen Stift mit sich, der sich bei Bedarf zu einer goldenen Rute teleskopieren ließ. Diesen nutzte sie nicht nur als Zeigestock, sondern auch um in der Frequenz eines blähenden Dackels zu tadeln und auf die Tische zu trommeln. Frau Marxloh hätte, wenn sie nicht wie eine verirrte Leuchtturmwärterin ausgesehen hätte, locker in einer Rockband spielen können, denn das, was sie teilweise mit ihrem Stöckchen in das blanke Holz trommelte, hätte auch einer Gruppe Galeerensklaven zur Motivation gereicht. Ich möchte nicht behaupten, dass Frau Marxloh das personifizierte Böse war, sie war aber sicherlich so etwas wie die heimliche Urlaubsvertretung des Bösen: Wenn der Teufel mal im Führerbunker Urlaub machte, sprang sie gerne ein.
    Frau Marxloh war der Ausgangspunkt meiner lebenslangen Ablehnung gegen die Spezies der Mathematiklehrer, da es viele Eigenheiten an ihr gab, die ich später an anderen Lehrern dieses Ausnahmefachs wiederentdecken konnte. So war sie trotz ihrer Eigenheit, sich wie ein adipöses, japanisches Schulmädchen zu kleiden, zu einem Grad akkurat, dass man eine Atomuhr nach ihr stellen konnte. Jede Gleichung saß perfekt, jede mathematische Formel konnte sie aus dem Gedächtnis fehlerfrei wiedergeben, und oft genug bekamen begriffsstutzige Schüler bei einer Unterhaltung mit Frau Marxloh das Gefühl, einen Hirnlappen zu wenig zu haben. Frau Marxloh war vielleicht ein Exot im Lehrkörper und befolgte nicht unbedingt alle Regeln des menschlichen Umgangs, ihrer fachlichen Eignung tat das aber keinen Abbruch. Sie war, wie es viele Mathematiklehrer sind, weit überqualifiziert und hätte es in der Entwicklungsetage eines Softwareriesen oder einer Sternwarte besser gehabt. Natürlich nur, wenn man ihr den goldenen Schlagstock gelassen hätte.

The Drugs Don’t Work
    Einer der Kollegen meines Vaters hieß Wilfried, er unterrichtete Mathematik und Physik. Diese Fächer waren die einzigen Gebiete in Wilfrieds Leben, in denen er so etwas wie Souveränität besaß, in allem anderen war er einfach grandios gescheitert. Beziehungen zu Frauen ergaben sich meist gar nicht oder endeten mit einer Unterlassungsklage, Freundschaften pflegte er aufgrund seines Verfolgungswahns und seiner Neurosen ebenso wenig wie sich selbst, denn sein Anblick erweckte immer den Anschein, als sei er gerade einer Rehaklinik oder der Geschlossenen entflohen. Er wankte somnambul mit Dreitagebart, Adiletten und im Bademantel durch die Schulflure und schien tatsächlich seinen Pfleger zu suchen.
    Wenn Wilfried in den Park zum Entenfüttern ging, dann fütterten die Enten ihn und nicht umgekehrt. Dabei war Wilfried hochintelligent, vielleicht sogar ein Genie, er multiplizierte zehnstellige Zahlen im Kopf und löste zu seiner Unterhaltung schwerste Gleichungen. Leider waren all diese Eigenschaften nicht gerade dazu geeignet,
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