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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Park angetroffen, wie er da unsicher die Enten anstarrte, und sich sofort in ihn verliebt. Wilfried wollte die Sache langsam angehen lassen, deshalb heirateten sie erst nach einer Woche. Sie war die Erfüllung all seiner Träume, sein Nirwana. Eine liebevolle und verständnisvolle Frau, die zumindest so weit einen Schlag hatte, dass sie sich in einen schrägen Vogel wie ihn verlieben konnte.
    Auch Wilfried war anscheinend in dieser Ehe aufgeblüht und war mit Regina in ein kleines Reihenendhaus gezogen, in dem er sich statt um seine Wahnvorstellungen jetzt um ihre Katzen kümmern konnte.
    Wilfried gab mir einen Händedruck, der sich nach einem rohen Schnitzel anfühlte, setzte sich an den Tisch und fing sofort an, seine Spielsteine ebenso akribisch zu ordnen wie mein Vater.
    »Und du bist jetzt wieder hier?«, fragte er und starrte dabei auf seinen Haufen Steinchen.
    »Ja, er hat abgebrochen …«, triumphierte meine Mutter. Sie stellte ein paar Bier auf den Tisch.
    »Was abgebrochen?«, fragte Regina.
    »Lehramt«, antworteten meine Eltern gleichzeitig, anscheinend konnte man dieses Wort nur vorwurfsvoll aussprechen.
    »Vielleicht auch besser so«, sagte Willi und schaute meine Eltern an. Nach seinen Erfahrungen als gepiesackter Mathelehrer das einzig nachvollziehbare Fazit.
    »Haben wir auch gesagt«, nickte mein Vater.
     
    »Ich fange an«, sagte Regina und legte »F-R-O-H-
S-I-N-N«. Sie unterbrach damit ziemlich geschickt den Dialog, der zu einer mittelschweren K-R-I-S-E meinerseits geführt hätte.
    »Zuerst die Einsätze bitte!«, forderte mein Vater auf. Kaum zu glauben, aber meine kreuzbiederen Eltern waren wahrhaftig zu Zockern geworden. Er legte ohne zu zögern einen Zehn-Euro-Schein auf den Tisch.
    Es hatte sich wohl doch einiges verändert.
    Dann holte Onkel Willi vier dicke Rollen mit Zehn-Cent-Münzen aus seiner Tasche.
    Nun ja, nicht alles.

Eine Nacht mit Sören Malte
    Der Abend endete wie erwartet. Mein Vater und Wilfried bastelten die abstrusesten Wortkonstruktionen und am Ende unterlag Wilfried mit seinem »Hypothenusenabschnitt« klar meinem Vater, der stolz »Morphemanalysetechnik« legte und den Jackpot einsackte. Ich hatte erfolgreich das Wort »H-A-U-S« gelegt, worauf mein Vater begann, mich den Rest des Abends den »Germanisten« zu nennen.
    Ich hatte meine finanzielle Notlage immer noch nicht wirklich zur Sprache gebracht, aber ich nahm mir vor, meine Eltern am nächsten Morgen beim Frühstück um Geld zu bitten.
     
    Die kurze Zeitreise in meine Kindheit fühlte sich an wie eine eigenartige Mischung aus Nostalgie und Fremdheit, vieles war gleich geblieben, aber ich hatte mich verändert. Ich war erwachsen geworden, und keinem der anderen Beteiligten fiel dieser Umstand auch nur auf. Mein Vater korrigierte immer noch meine Satzfehlstellungen, meine Mutter fuhr mir einmal mit einem angesabberten Taschentuch durchs Gesicht, weil sie dort eine Andeutung von Bierschaum vermutete. Wilfried erzählte seiner Frau angeregt, wie er früher immer auf mich aufgepasst und meine vollen Windeln auf dem Spielplatz vergraben hatte, bis die anderen Eltern das Ordnungsamt riefen.
     
    Dass Kinder für ihre Eltern immer Kinder bleiben, ist eine alte Weisheit. Dass sie bei Lehrereltern aber auch immer Schüler bleiben, merkte ich spätestens, als mein Vater mir nach dem Scrabble das glasklare Zeugnis intellektueller Minderbemittlung ausstellte, indem er mir vorwarf, ich hätte seinen Witz über Schiller und Goethe nicht verstanden und nur aus Höflichkeit gelacht. Und was eine »Morphemanalysetechnik« sei, wisse ich schon mal gar nicht.
    Ich war zu müde, um ihm zu erklären, dass ich mein ganzes Lehramtsstudium eigentlich nichts anderes getan hatte, als Morpheme zu analysieren, und wackelte angetrunken und genervt in mein Zimmer, in dem zwei ausgesprochen große Hunde bereits die Nachtruhe auf meiner Schlafcouch angetreten hatten.
    Erst überlegte ich, mich in Embryonalstellung zwischen sie zu legen, dann sah ich, dass meine Mutter mir zur Abendlektüre etwas auf den Schreibtisch gelegt hatte. Sören Malte lächelte mir siegessicher zu.
    Ich las in dieser Nacht »In 10 Schritten zum Erfolg – Wie ich ein Gewinner werde«, und es veränderte mein Leben. Nicht weil ich diesem Knigge für Egoisten auch nur einen einzigen sinnvollen Ratschlag entnommen hätte, sondern weil es mich auf eine Idee brachte. Als meine Mutter mich am nächsten Morgen zum Frühstück holen wollte, war ich nicht mehr da. Nur
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