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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind
Autoren: Bastian Bielendorfer
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murrte er den Anfang eines Hauptsatzes, ich hatte nicht das Gefühl, dass er ihn vervollständigen wollte und fing deshalb selbst an zu reden.
    »Ja, ja, ihr habt’s mir ja gesagt.«
    »Rischtisch«, nickte mein Vater und lenkte den Wagen falsch herum in eine Einbahnstraße.
    »Man muss Dinge selbst ausprobieren, um zu wissen, ob es das Richtige ist … habt ihr immer gesagt.«
    »Das gilt nicht für alles, sonst hättest du ja auch Totengräber oder Klofrau werden können.«
    »Klofrau?«, motzte ich, immerhin hatte ich es akademisch versucht, gescheitert zwar, aber akademisch gescheitert.
    »Weißt du, das Leben ist wie eine sehr lange Klassenarbeit …«, sagte mein Vater und gab damit auf die einfache Frage »Klofrau« die wohl unpassendste Antwort. Nur »Blutwurst« oder »Methyloxydase« wäre ähnlich daneben gewesen.
    »Wie bitte?«
    »Na ja, du musst dir selbst Fragen stellen und Antworten finden, du machst Fehler und machst Dinge richtig, ganz wie bei einer Klassenarbeit.«
    »Bis auf den kleinen Unterschied, dass der liebe Gott mir bei einem versauten Leben nicht sagt, ›hängengeblieben, versuch’s im nächsten Jahr noch mal, dann wird’s besser‹«, spottete ich. Mein Vater starrte auf die Straße, als hätte er aus der WC-Ente getrunken.
    »Es ist nicht schlimm, mal eine falsche Antwort zu geben, niemand kann alles wissen, so ist es halt«, sagte er schließlich und missachtete zwei Mal die Vorfahrt.
    »Mmh, danke«, räusperte ich mich und schaute aus dem Wagenfenster. An uns zogen die typischen kleinen Zechenhäuser vorbei, und in den Fenstern hingen gehäkelte Gardinen, in einem saß sogar ein trauriger Wellensittich und schaute uns nach.
     
    Ich hatte also mein Lehramtsstudium abgebrochen, und mein Vater spielte für den heimkehrenden Sohn den Bestattungsfahrer. Ich war auf dem Weg zu meiner eigenen Beerdigung, zumindest zu der meiner Träume, die im Lehrerpraktikum von kaugummikauenden Kackbratzen kurzerhand zerstört worden waren.
    »Waaarte mal«, rief ich, und mein Vater bremste, als wären wir an einer grünen Ampel.
    Der Wagen hielt an einer ereignislosen Straßenkreuzung, ein paar Bäume, heruntergekommene Fassaden, auf dem Gehweg wackelte eine Oma mit einer Tüte Bananen vorbei.
    »Kennst du das noch?«, fragte ich meinen Vater, ihm war der historische Wert unserer Route wohl nicht bewusst, auch weil er sie wahrscheinlich täglich fuhr. Ich war ewig nicht hier gewesen.
    »Der kleine Markus«, murmelte mein Vater und blickte auf eine Ruine am Straßenrand, von der nur noch die Grundfesten standen.
    »Ja, hier war der kleine Markus«, sagte ich und bat ihn, kurz ranzufahren.
    Wir stiegen aus und gingen zu der alten Milchfabrik. Außer ein paar Backsteinmauern und einer tiefen Grube war von meinem Kinderguantanamo nur die Erinnerung geblieben, ich sah den kleinen Markus mit seinen Fußfesseln aus einem Loch in der maroden Wand kraxeln.
    »Das war lustig damals, wie lange du das geglaubt hast«, sagte mein Vater und strich mit seiner Hand an den roten Steinen einer lose dastehenden Mauer entlang, auf der Oberfläche klebte noch ein Klingelschild: »Hubermann Milchfabrik und Käserei«.
    »Nein, war es überhaupt nicht«, sagte ich trotzig. Kaum zu glauben, dass mein Vater immer noch nicht verstanden hatte, wie schlimm die Geschichte vom kleinen Markus für mich damals gewesen war.
    Mein Vater sah mich an und legte seine Hand auf meine Schulter, es war ein gutes Gefühl. Der kleine Markus lächelte uns an.
    »Das nehmen wir mit«, sagte er und riss das Namensschild der Fabrik ab. »Damit wir nicht vergessen, dass es nur eine Milchfabrik war.«
    Als wir uns umdrehten, stand vor uns der Wagen und dahinter, auf der anderen Straßenseite, war wiederum alles ganz anders als früher. Easy Records gab es nicht mehr, dort wo Bike-Mike und die Gang der bärtigen Vinylliebhaber ihre Schatzkisten durchwühlt hatten, war jetzt ein Penny-Markt samt Parkplatz. Eine Familie schob gelangweilt einen prall gefüllten Einkaufswagen vor sich her, vor der Filiale verkümmerten ein paar Topfpflanzen in der prallen Sonne.
    Ich ging mit meinem Vater wortlos über die Straße, wir standen ein paar Augenblicke einfach dort und sagten gar nichts.
    »Ein Parkplatz«, stotterte er und senkte seinen Kopf. Meine schlechten Erinnerungen waren seine guten.
    Ich legte meine Hand auf seine Schulter, alt war er geworden, wie er da im Sonnenschein stand und auf den Boden schaute, dachte ich und schwieg.
    Als wir wieder
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