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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind
Autoren: Bastian Bielendorfer
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(damals der letzte Schrei, auf der Seite prangte der schreiende Hulk Hogan in einem gelben Badeanzug) und meiner geliebten Pumucklunterhose los. Die armen Kinder aus Afrika dienten damals so ziemlich jedem Kind, gleichwohl es nie in Afrika gewesen war, als Sinnbild einer moralischen Instanz, die immer dann zitiert wurde, wenn man nicht aufgegessen hatte (»Die armen Kinder in Afrika würden sich über den Grünkohl freuen, Bastian!«) oder nicht ins Bett gehen wollte (»Die armen Kinder in Afrika haben kein Bett, die schlafen auf dem Boden!«).
    Der »Wäsche-Tag« war natürlich dem perfiden Gehirn meines Vaters entsprungen. Er hatte wohl selbst nicht geglaubt, dass ich die Geschichte ernst nehmen und wirklich halb nackt losziehen würde, um mich für die Ewigkeit als der Vollhorst der Schule in die Gedächtnisse meiner Mitschüler zu brennen. Doch ich war losgegangen, hatte die überraschten Gesichter der Nachbarn bewusst ignoriert, die gerade hektisch zur Arbeit das Haus verließen und doch eine Sekunde fanden, den sonderlichen kleinen Jungen zu bemerken, der dort wie eine Bockwurst mit Tornister durch ihre Sackgasse schlappte. Frau Krömer, eine alte Frau, an deren Körper alles krumm und schief war, winkte mir selig wie jeden Morgen auf dem Schulweg zu, in ihren altersschwachen Augen trug ich einfach sehr hautfarbene Kleidung.
    Leider stimmte das nicht.
    Da stand ich nun, solidarisch mit der Dritten Welt, meine Schuhe blinkten ein trauriges SOS, während Pumuckl, der hilflos meinen Schniedel zu verdecken versuchte, fröhlich meinen Klassenkameraden zuwinkte. Zuerst legte sich eine klamme Stille über den Schulhof, die sich dann jedoch auflöste, als eines der Kinder nicht mehr an sich halten konnte und lauthals loslachte. Als eine Kollegin meine Mutter darauf aufmerksam machte, dass ihr Sohn gerade halb nackt auf dem Schulhof stand, sprang sie aus dem Lehrerzimmer und warf mir eine Decke über. Als ich nach Hause kam, sprach ich einen Monat nicht mehr mit meinem Vater. Meine Mutter hielt es noch länger durch.
     

Der Mathematiklehrer
    Der Mathematiklehrer ist eine eigenartige Persönlichkeit. Wer sich die Hälfte seines Lebens damit befasst hat, möglichst simple Erklärungen für mathematische Probleme zu finden, und sich selbst völlig der Herrschaft einer allumfassenden Logik verschrieben hat, kann in der Schule eigentlich nur scheitern. Denn in der Schule gibt es keine Logik. In der Schule ist nicht derjenige angesehen, der es besser weiß, sondern der, der eine passendere Beleidigung auf Lager hat und dessen Handy mehr Klingeltöne abspielen kann. So steht der Mathematiker, der sich zeit seines Studiums mit schwersten Fragestellungen der gehobenen Mathematik beschäftigt hat, nur um in seinem Job jetzt einen Großteil der Zeit mit dicklichen Schülern das Wurzelziehen zu üben, plötzlich vor einer geradezu unlösbaren Gleichung. Noch schlimmer ist es nur für die Grundschullehrämter, die sich durch den gleichen steinharten Bockmist gefressen haben wie die Gymnasiallehrer, dann im Laufe ihrer Schulzeit aber feststellen müssen, dass Zweitklässler keine höhere Algebra benötigen und der Satz des Pythagoras vor einer Gruppe von Sesamstraßenguckern auch nicht viel nützt.
    Meist führt die erste Stunde eines neuen Lehrers an eine Weggabelung, hinter der sich seine Zukunft in zwei alternative Entwürfe teilt. Entweder der betreffende Lehrer versprüht ein wenig Autorität, verkauft sich selbst als zumindest halbwegs zurechenbares Wesen und betoniert dadurch seinen Weg in ein einigermaßen erträgliches Lehrerleben – oder er macht sich komplett zum Horst.
    Frau Marxloh hatte schon beim Betreten des Klassenraums nicht die besten Karten, denn sie sah aus, als wäre sie gerade in einem Kofferraum über die Grenze geschmuggelt worden. Ihr Anblick, ihr Ausdruck, ja selbst ihr Geruch, der irgendwo zwischen halb vollem Katzenklo und Moschusochse lag, waren wie ein Reise in die Zeiten der VEB Robotron. Frau Marxloh war wie der böse Bruder des Wortes »Oldschool«, sie war nicht altmodisch, sondern direkt aus einer Zeitmaschine gepurzelt und in unseren Klassenraum gestolpert. Ihre laternenpfahlhohe Erscheinung mit Igelfrisur und Batikbluse war ein Relikt des Ostblocks, eine Trotzgeburt der DDR, die immer noch unter einer Hammer-und-Sichel-Fahne schlief und ihre letzten Ostmark nie umgetauscht hatte.
    Allein ihre kurzen Worte der persönlichen Vorstellung, die jeder Lehrer traditionell an die Klasse richtet,
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