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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel
Autoren: Marie Lu
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wollen. Ich achte sorgsam darauf, im Schatten zu bleiben, selbst in dieser stürmischen Nacht. Day trägt eine Mütze, die er sich tief über die Augen gezogen hat. Ich habe mein Haar in den Kragen meines Oberteils geschoben und die untere Hälfte meines Gesichts ist hinter einem alten, mittlerweile mit Wasser vollgesogenen, Schal verborgen. Besser können wir uns im Moment nicht tarnen. Der Schrottplatz steht voller alter Bahnwaggons, rostig und verblichen. Es sind sechsundzwanzig, wenn man den Güterwaggon mitzählt, von dem nur noch die Hälfte übrig ist, und alle von der Union-Pacific-Gesellschaft. Ich muss mich gegen den Wind stemmen, um nicht umzufallen. Der Regen brennt auf meiner verletzten Schulter. Keiner von uns sagt ein Wort.
    Als wir schließlich einen leeren Waggon erreichen (ein überdachter Schüttgutwagen mit zwei Schiebetüren - eine davon zugerostet, die andere zur Hälfte geöffnet; wahrscheinlich für trockene Massenfracht konstruiert), der auf der Rückseite des Hofs sicher hinter drei anderen Wagen steht, klettern wir hinein und hocken uns in eine Ecke. Überraschend sauber. Warm genug. Und, am allerwichtigsten, trocken.
    Day nimmt seine Mütze ab und wringt sich die Haare aus. Ich kann ihm ansehen, dass sein Bein ihm Schmerzen bereitet. »Gut zu wissen, dass die Flutwarnung immer noch gilt.«
    Ich nicke. »Dürfte schwierig für die Truppen werden, uns bei diesem Wetter aufzuspüren.« Ich halte inne und mustere ihn. Selbst jetzt noch, erschöpft und bis auf die Knochen durchnässt, hat er eine Art ungezähmte Eleganz an sich.
    »Was ist?« Er hört auf, sich das Wasser aus den Haaren zu drücken.
    Ich zucke mit den Schultern. »Du siehst furchtbar aus.«
    Das entlockt ihm ein Lächeln - doch es verschwindet genauso schnell wieder, wie es gekommen ist. Stattdessen senkt er schuldbewusst den Blick. Ich sage nichts mehr. Ich kann’s ja verstehen.
    »Sobald der Regen aufhört«, sagt er, »will ich los Richtung Las Vegas. Ich muss Tess finden und mich davon überzeugen, dass sie bei den Patrioten sicher ist. Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen. Ich muss wissen, dass es ihr bei ihnen besser geht als bei uns. Und dann können wir uns auf den Weg an die Front machen - vielleicht finden wir dort auch heraus, wo Eden ist.« Es ist, als müsste er mich davon überzeugen, dass er das Richtige tut. »Du musst nicht mitkommen. Nimm einfach einen anderen Weg an die Front und dann sehen wir uns da. Wir können einen Treffpunkt vereinbaren. Besser, wenn nur einer von uns sein Leben riskiert.«
    Ich will Day sagen, dass es Irrsinn ist, sich einer Militärstadt wie Vegas auch nur zu nähern. Aber ich halte den Mund. Alles, was ich sehe, sind Tess’ schmale, hochgezogene Schultern und ihre großen Augen. Day hat seine Mutter verloren. Seinen Bruder. Er kann nicht auch noch Tess verlieren. »Du solltest sie suchen gehen«, erwidere ich. »Davon brauchst du mich nicht zu überzeugen. Aber ich komme mit.«
    Day runzelt die Stirn. »Nein, das tust du nicht.«
    »Du brauchst Verstärkung. Sei doch vernünftig. Wenn dir auf dem Weg dahin irgendwas passiert, wie soll ich je erfahren, dass du in Schwierigkeiten bist?«
    Day blickt mich an. Selbst in der Dunkelheit kann ich seine Augen sehen. Der Regen hat sein Gesicht sauber gewaschen. Die dunkelrote Strähne in seinem Haar ist verschwunden. Nur ein paar Blutergüsse sind zurückgeblieben. Er sieht aus wie ein Engel, wenn auch wie ein gefallener.
    Verlegen wende ich mich ab. »Ich will nicht, dass du allein da hingehst.«
    Day seufzt. »In Ordnung. Wir machen uns auf den Weg an die Front und finden raus, wo Eden ist, dann gehen wir über die Grenze. In den Kolonien werden sie uns bestimmt freundlich empfangen - vielleicht helfen sie uns sogar.«
    Die Kolonien. Vor gar nicht langer Zeit waren sie für mich noch der schlimmste Feind auf der Welt. »Okay.«
    Day beugt sich zu mir vor. Er hebt eine Hand und berührt mein Gesicht. »Du bist wirklich brillant«, sagt er. »Aber du bist auch ein ziemlicher Dummkopf, bei jemandem wie mir zu bleiben.«
    Ich schließe die Augen unter seiner Berührung. »Dann sind wir wohl beide Dummköpfe.«
    Day zieht mich an sich. Er küsst mich, bevor ich noch etwas sagen kann. Sein Mund fühlt sich warm und weich an, und als er mich leidenschaftlicher küsst, schlinge ich die Arme um seinen Nacken und erwidere seinen Kuss. In diesem Moment ist mir der Schmerz in meiner Schulter egal. Es ist mir egal, ob die Soldaten uns in unserem
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