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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel
Autoren: Marie Lu
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fuchsteufelswild.
    »Richten Sie den Jungen hin! Töten Sie ihn unverzüglich! Und sehen Sie zu, dass es auf dem Platz gesendet wird!«
    »Verdammt«, murmelt Day. Sein Kopf sackt zur Seite, seine hellen blauen Augen wirken stumpf und unfokussiert. Ich wechsele einen Blick mit John und laufe weiter. Die Soldaten werden jeden Moment zurückkommen. Um Day auf den Hof hinauszuzerren.
    Siebenundzwanzig Sekunden. Noch gut siebzig Meter bis zum Ausgang. (Wir schaffen ungefähr anderthalb Meter pro Sekunde, 27 mal 1,5 ergibt knapp 41 Meter. In knapp 41 Metern werden die Schusswaffen reaktiviert. Ich höre Soldatenstiefel durch den Gang poltern, der parallel zu unserem verläuft. Wahrscheinlich suchen sie schon nach uns. Wir brauchen noch mindestens dreiundzwanzig Sekunden, um es zum Ausgang zu schaffen, bevor sie uns einholen. Sie werden uns erschießen, bevor wir draußen sind.) Warum muss ich auch immer alles so genau ausrechnen.
    John wirft mir einen Blick zu. »Wir schaffen es nicht.« Zwischen uns ist Day in eine Art Halbohnmacht gefallen. Wenn die Brüder weiterlaufen und ich umkehre und mich den Soldaten in den Weg stelle, kann ich wahrscheinlich nur ein paar von ihnen aufhalten, bevor sie mich überwältigen. Sie würden John und Day trotzdem erwischen.
    John bleibt plötzlich stehen und ich spüre, wie Days Gewicht nun auf mir allein lastet. »Was ...«, beginne ich, doch dann sehe ich, wie John die Augenbinde um Days Hals losbindet. Dann dreht er sich um. Meine Augen weiten sich. Ich weiß, was er vorhat. »Nein, bleib hier!«
    »Ihr braucht mehr Zeit«, sagt John. »Die wollen eine Hinrichtung? Dann sollen sie eine kriegen.« Damit rennt er los. Den Gang zurück.
    Zurück in Richtung des Innenhofs.
    Nein. Nein, nein, John. Wo läufst du denn hin? Ich verschwende eine Sekunde, um mich zu ihm umzudrehen, einen Moment lang hin- und hergerissen, und frage mich, ob ich ihm hinterherrennen soll.
    John meint es wirklich ernst.
    Dann sackt Days Kopf an meine Schulter. Sechs Sekunden. Ich habe keine Wahl. Obwohl ich hinter uns, in dem Flur zum Exekutionshof, bereits die Rufe der Soldaten höre, zwinge ich mich, mich wieder umzudrehen und weiterzuhasten.
    Null Sekunden.
    Die Schusswaffen sind wieder funktionstüchtig. Wir laufen weiter. Mehr Sekunden vergehen. Irgendwo in einem der Gänge hinter uns bricht Lärm los. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht zurückzublicken.
    Dann erreichen wir den Ausgang, stürzen auf die Straße hinaus und stehen zwei Soldaten gegenüber. Ich habe keine Kraft mehr, um zu kämpfen. Aber ich versuche es. Plötzlich kämpft jemand an meiner Seite, die Soldaten gehen zu Boden und Kaede huscht durch mein Blickfeld.
    »Sie sind hier!«, ruft sie. »Kommt raus!«
    Sie haben sich in der Nähe der Hinterausgänge versteckt. Genau, wie wir es vereinbart hatten. Die Patrioten sind uns zu Hilfe gekommen. Ich will ihnen sagen, dass sie auf John warten sollen, aber ich weiß, dass es keinen Zweck hat. Sie packen uns und ziehen uns zu ihren Motorrädern. Ich reiße die Pistole aus meinem Gürtelholster und werfe sie zu Boden. Ich kann den Sender darin nicht länger mit mir führen. Day landet auf einem Motorrad - ich auf einem anderen. Wartet auf John, will ich sagen.
    Aber wir sind schon unterwegs. Und die Batalla-Zentrale wird hinter uns kleiner und kleiner.

DAY
    Ein zuckender Blitz, ein Donnerschlag, das Geräusch von prasselndem Regen. Irgendwo weit weg das Heulen der Flutsirenen.
    Ich öffne die Augen und blinzele, als Wasser hineintropft. Einen Moment lang erinnere ich mich an gar nichts - nicht einmal an meinen Namen. Wo bin ich? Was ist passiert? Ich sitze neben einem Schornstein, klatschnass. Ich befinde mich auf dem Dach eines Wolkenkratzers. Regen hüllt die Welt ringsum ein und durch mein triefendes T-Shirt pfeift der Wind, als wollte er mich in die Luft heben. Ich presse mich enger an den Schornstein. Als ich zum Himmel aufblicke, sehe ich ein endloses Feld aus wirbelnden Wolken, tiefschwarz und wütend, erhellt von zahllosen Blitzen.
    In dem Moment fällt mir alles wieder ein. Das Erschießungskommando, der Flur, die Bildschirme. John. Die Explosion. Überall Soldaten. June. Ich sollte längst tot sein, durchsiebt mit Kugeln.
    »Du bist wach.«
    Neben mir, in ihren schwarzen Kleidern vor dem Nachthimmel beinahe unsichtbar, hockt June. Sie sitzt steif an die Mauer des Schornsteins gelehnt und scheint den Regen, der ihr übers Gesicht strömt, gar nicht zu bemerken. Ich drehe mich zu ihr
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