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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel
Autoren: Marie Lu
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kurz inne. »Darum ist John umgekehrt. Er wollte uns einen Vorsprung verschaffen und ist zurück in den Flur gelaufen. Sie dachten, er wäre du. Er hatte sogar deine Augenbinde. Sie haben ihn gepackt und in den Hof gezerrt, wo das Erschießungskommando wartete.« Sie schüttelt den Kopf. »Aber die Republik muss mittlerweile rausgefunden haben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Du musst fliehen, Day. Solange du noch kannst.«
    Tränen strömen mir über die Wangen. Es ist mir egal. Ich gehe vor June in die Knie und vergrabe den Kopf in meinen Händen, dann sinke ich vollends zu Boden. Nichts ergibt mehr einen Sinn. Mein Bruder muss die ganze Zeit an mich gedacht haben, während ich schmollend in meiner Zelle saß wie ein trotziges Kind. John hat mich schon immer an erste Stelle gesetzt.
    »Er hätte das nicht tun dürfen«, flüstere ich. »Das bin ich nicht wert.«
    Junes Hand legt sich auf meinen Kopf. »Er wusste, was er tat, Day.« Auch in ihren Augen schimmern jetzt Tränen. »Jemand muss Eden retten. Darum hat John dich gerettet. So wie es jeder Bruder getan hätte.«
    Ihr Blick brennt sich in meinen. So bleiben wir sitzen, reglos, im Regen erstarrt. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Ich denke an die Nacht, in der alles angefangen hat, die Nacht, in der die Soldaten die Haustür meiner Familie markiert haben. Wenn ich nicht in dieses Krankenhaus eingebrochen wäre, wenn ich Junes Bruder nicht begegnet wäre, wenn ich einen anderen Weg gefunden hätte, um an die Seuchenmedizin zu kommen ... Wäre dann heute alles anders? Wären meine Mutter und John dann noch am Leben? Wäre Eden in Sicherheit?
    Ich weiß es nicht. Ich habe zu viel Angst, um länger bei dem Gedanken zu verweilen.
    »Du hast alles zurückgelassen.« Ich hebe die Hand, um ihr Gesicht zu berühren, um ihr den Regen aus den Wimpern zu streichen. »Dein ganzes Leben - alles, woran du je geglaubt hast ... Warum hast du das für mich getan?«
    June hat noch nie so schön ausgesehen wie in diesem Moment, unverfälscht und ehrlich, verletzlich und gleichzeitig unbesiegbar. Als ein Blitz über den Himmel zuckt, funkeln ihre dunklen Augen wie Gold. »Weil du recht hattest«, flüstert sie. »Mit allem.«
    Als ich sie an mich ziehe, wischt sie mir eine Träne von der Wange und küsst mich. Dann vergräbt sie ihren Kopf an meiner Schulter. Und ich lasse meinen Tränen freien Lauf.

JUNE
    DREI TAGE SPÄTER
23:40 UHR
BARSTOW, KALIFORNIEN
11°C
    Hurrikan Evonia beginnt, sich endlich zu legen, aber der Regen, schwer und kalt, fällt weiter in Strömen. Der Himmel scheint vor Wut zu schäumen. Und darunter sendet der einsame JumboTron von Barstow die neuesten Nachrichten aus Los Angeles.
    EVAKUIERUNGSBEFEHL FÜR: ZEIN, GRIFFITH, WINTER, FOREST
DIE BÜRGER VON LOS ANGELES SIND AUFGERUFEN, IM FÜNFTEN STOCKWERK ODER HÖHER SCHUTZ ZU SUCHEN
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    QUARANTÄNE DER SEKTOREN LAKE UND WINTER AUFGEHOBEN
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    WICHTIGER SIEG DER REPUBLIK GEGEN KOLONIEN IN MADISON, DAKOTA
LOS ANGELES BEGINNT OFFIZIELLE FAHNDUNG NACH MITGLIEDERN DER PATRIOTEN
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    DANIEL ALTAN WING AM 26. DEZ. DURCH ERSCHIESSEN HINGERICHTET
    Natürlich stellt die Republik Days Hinrichtung als erfolgreich dar. Aber Day und ich wissen es besser. Schon längst wird in den Straßen und dunklen Gassen getuschelt, es gibt Gerüchte, Day sei ein weiteres Mal dem Tod entronnen. Und eine junge Soldatin der Republik habe ihm dabei geholfen. Doch das Getuschel bleibt Getuschel, denn niemand will die Aufmerksamkeit der Republik auf sich lenken. Dennoch. Die Leute reden weiter.
    Obwohl schon ruhiger als das Zentrum von Los Angeles, ist Barstow noch immer ziemlich überlaufen. Aber die Polizei hier sucht nicht so fieberhaft nach uns, wie es die Polizei in der Metropole mit Sicherheit tut. Alter Eisenbahnindustriestandort. Heruntergekommene Gebäude. Ein guter Ort für Day und mich, um dort Schutz zu suchen. Ich wünschte, Ollie hätte mitkommen können. Wenn nur Commander Jameson nicht die Hinrichtung vorverlegt hätte. Mein Plan war es gewesen, ihn aus der Wohnung zu holen, in irgendeiner Gasse zu verstecken und später mitzunehmen. Aber dafür ist es nun zu spät. Was werden sie mit ihm machen? Bei dem Gedanken daran, wie Ollie, allein und verängstigt, die Soldaten ankläfft, wenn sie unsere Wohnung aufbrechen, bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Er ist das einzige Stückchen von Metias, das mir geblieben ist.
    Day und ich kämpfen uns durch den Regen bis zum Eisenbahndepot, wo wir unser Lager aufschlagen
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