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Leberkäsweckle

Leberkäsweckle

Titel: Leberkäsweckle
Autoren: Bernd Weiler
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ein selbst ernannter Beraterstab argumentiert, dass Sebastian Möllner das Studium zum Polizei-Verwaltungswirt mühelos absolviert hatte, in Rekordzeit, während des aktiven Dienstes. Sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg. Denn etwas abschätzig hatte man sich daran erinnert, dass irgendwo in Sebastians Lebenslauf ein abgebrochenes Universitätsstudium erwähnt wurde. Man schloss daraus, dass er zumindest auf dem Papier auch intellektuell für eine Beförderung in Frage käme, und überhaupt – diesem arroganten Akademiker wollte man schon zeigen, dass die Realität des Polizeialltags, mit Verlaub, nicht nur aus dem Schreiben von eloquenten Berichten, Führerscheinkontrollen und Ladendiebstählen bestand, sondern eben durchaus auch aus Erpressung, Mord, Vergewaltigung und zerteilten Selbstmördern auf der Neckarbahn.
    Man hatte Sebastian beim Weihnachtsessen zwischen zäher Gans und Dr.-Oetker-Pudding über die Beförderung informiert. Bausch-Mahnfelds beglückwünschender Handschlag hatte sich aufgrund ihrer Neurodermitis wie das Streicheln eines gefährlichen Reptils angefühlt. Nur der Rotwein war gut gewesen.
    Kurz nach Mitternacht hatte Bausch-Mahnfeld Sebastian in ihr Büro gebeten, er war ihr wie ein Dackel durch die leer geräumten Tische des Buffets gefolgt, vorbei an weißen Tischtüchern voller Soßenflecken. Als Bausch-Mahnfeld sich im Stockwerk irrte, bemerkte Sebastian, dass auch sie schon ziemlich betrunken war. In ihrem Büro fiel sie ächzend in den Schreibtischstuhl und verkündete mit gönnerhafter Geste: »Sie taugen als Einziger von dem ganzen Haufen etwas.«
    »So?«, hatte Sebastian entgegnet und idiotisch gelächelt.
    »Als Einziger. Setzen Sie sich.«
    Er nahm in einem der beiden schwarzen Ledersessel Platz. Unvorsichtigerweise legte Sebastian seine Hand auf die Schreibtischunterlage.
    »Als Einziger«, seufzte Bausch-Mahnfeld, ließ den Blick zur Decke und wieder zurück auf Sebastian schweifen, schob ihren Arm etwas nach vorne und legte die Spitzen von Zeige- und Mittelfinger auf Sebastians Handrücken. Er wich nicht zurück.
    So hatten sie einige Minuten schweigend verbracht, Hand in Hand über einer Karte des Tübinger Stadtgebietes im Jahre 1985. Dann hatte Bausch-Mahnfeld, etwas über Verabschiedungen murmelnd, den Raum verlassen. Nie wieder hatten sie davon gesprochen. Sebastian war es am nächsten Morgen wie ein vernebelter Traum erschienen. Jedenfalls kommunizierte Bausch-Mahnfeld seit dem Vorfall meist nur noch durch zwischengeschaltete Kollegen mit ihm.
    Weil er der einzige Beamte war, der sich zurzeit in dem Polizeiposten der Innenstadt auf Bereitschaft befand, übergab ihm Anna die Meldung aus dem Wohnheimviertel.
    »Arschkalt draußen«, sagte sie. »Viel Spaß.«
    »Danke.« Sebastian fühlte sich sogar zur Ironie zu müde. Anna lächelte aufmunternd. »Was wurde da geklaut?«, fragte er.
    »Ein Laptop oder Handy, ich habe es nicht genau verstanden. Ein paar Kinder haben es gesehen. Die hatten Schulschwimmen. Sieht so aus, als ob du rausmusst, Sebastian.« Anna war fast zwanzig Jahre älter als er, sie hatten sich schon vor Sebastians Beförderung gekannt. Vermutlich war sie unter den Fürsprechern für seine Beförderung gewesen, doch direkt gefragt hatte er nie. Nach einer expliziten Bestätigung wäre er sozusagen offiziell in ihrer Schuld gestanden, und das wäre Anna unangenehm gewesen. Auf Lob und Dank reagierte sie wahlweise mit hochrotem Kopf oder fast gereizt.
    Sebastian seufzte. »Bin in ’ner Stunde zurück.« Er zog sich dieselbe abgetragene Jacke an, mit der er zehn Jahre zuvor sein Studium begonnen hatte, die Jacke, in der er Nadja kennengelernt und in der er sie zwei Jahre später aus einer Abtreibungsklinik in Düsseldorf begleitet hatte, das ungeborene Kind noch immer in ihrem Unterleib. Sebastians Blick streifte sein Spiegelbild. Die Erkenntnis, alt zu sein, alt im Sinne des 21. Jahrhunderts, hatte sich an seinem dreißigsten Geburtstag wie ein Schleier über seine Wahrnehmung gelegt.
    Die Universitätsstadt saß in tiefen Schnee gehüllt auf dem Bergsattel. Sebastian stapfte mit weiten Schritten durch die Fußgängerzonen der Altstadt, hinunter zum Parkplatz der Dienstfahrzeuge. Die frische Luft tat ihm gut. Es war Anfang Dezember und ungewöhnlich kalt. Der Neckar war bereits an einigen Stellen zugefroren. Auf den Eisschollen ließen sich Enten treiben, die ihren Schnabel tief im Federkleid verborgen hatten.
    Auf den Straßen kam er nur langsam voran.
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