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Lebenslänglich

Lebenslänglich

Titel: Lebenslänglich
Autoren: Liza Marklund
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zu Spiken, um sich zu erkundigen, was sie schreiben sollte.
    Aus dem Nachmittag wurde Abend, bevor Annika ihren Artikel fertig hatte. Es war ein ziemlich diffuser Bericht über Yvonne Nordins Handlungen und Beweggründe, völlig ohne Angabe von Quellen. Sie merkte selbst, dass er ziemlich dünn war, aber sie wollte weder Nina noch Julia noch David oder sogar Filip Andersson bloßstellen, deshalb beschränkte sie sich auf die Fakten, die sich belegen ließen: dass Yvonne zusammen mit David ein Unternehmen betrieben hatte, dass sie sich an ihr Verhältnis mit David geklammert hatte und wollte, dass er sich scheiden ließ, dass sie möglicherweise sogar andere Gewaltverbrechen begangen hatte. Dass die Polizei derzeit ermittelte, ob es einen Zusammenhang mit dem Dreifachmord in der Sankt Paulsgatan gab und dass Filip Andersson ein Wiederaufnahmeverfahren beim Obersten Gerichtshof beantragt hatte (für Letzteres hatte sie wirklich Belege, mit Aktenzeichen und allem).
    Sie stellte den Artikel ins Redaktionsnetz, schaltete ihren Laptop aus und packte ihn in ihre Tasche. Als sie an Schymans Zimmer vorbeiging, sah sie ihn hinter seinem Schreibtisch sitzen und mit dem Stuhl wippen.
    Er sah grau und erschöpft aus. Der vergangene Herbst hatte ihn altern lassen.
    Ich frage mich, wie lange er das noch machen will. Er muss fast sechzig sein.
    Sie klopfte an. Er fuhr zusammen, als sei er tief in Gedanken gewesen, und winkte sie herein. Sie setzte sich.
    «Ich nehme an, jetzt ist eine Entschuldigung fällig», sagte er.
    Annika schüttelte den Kopf.
    «Keine weiteren im Moment», sagte sie. «Ich habe schon eine Überdosis bekommen.
    Wie geht's Ihnen?»
    Das Letzte war ihr so herausgerutscht, sie wusste gar nicht, woher die Worte kamen.
    Er seufzte schwer.
    «Diese Personalkürzungen haben mich an den Rand meiner Nerven gebracht», sagte er.
    Er schwieg und schaute hinaus auf die Redaktion, ließ den Blick langsam über Reporter und Rechner und Radiostudios und Redakteure und Online-Redakteure wandern. Vor den Dachfenstern war es schon wieder dunkel, der kurze Tag wurde von einer langen und stürmischen Dezembernacht abgelöst.
    «Ich liebe diese Zeitung», sagte er. «Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber es ist wirklich wahr. Ich weiß, dass wir Fehler machen und oft zu weit gehen, und manchmal stellen wir Leute auf eine Weise bloß, die wirklich zum Kotzen ist, aber wir erfüllen eine Funktion. Ohne uns wäre die Demokratie zerbrechlicher.
    Ohne uns wäre die Gesellschaft härter und brutaler.»
    Sie nickte langsam.
    «Ich wünschte, Sie hätten recht», sagte sie. «Aber ich bin mir nicht sicher.»
    «Sie haben gestern gute Arbeit geleistet.»
    «Nicht besonders», erwiderte sie. «Ich habe nichts geschrieben, und ich habe mich geweigert, mit dem Handy ein Bild von Alexander zu schicken.»
    «Ich meinte mehr das allgemein Menschliche.»
    «Es ist eine wahnsinnig verwickelte Geschichte», sagte Annika. «Ich glaube, keiner begreift richtig, wie das alles zusammenhängt. Alle Beteiligten hatten unterschiedliche Motive und Beweggründe. Vielleicht sind sie alle schuldig, wenn auch nicht exakt für das, wofür sie angeklagt oder verurteilt wurden …»
    Anders Schyman seufzte wieder.
    «Ich denke, ich fahre jetzt nach Hause», sagte er.
    «Ich auch», sagte Annika.
    «Soll ich Sie mitnehmen?»
    Sie zögerte kurz.
    «Danke, gern.»
    Sie erhoben sich, der Chefredakteur machte das Licht aus, verzichtete aber darauf, abzuschließen. Sie gingen hinunter in die Tiefgarage zu seinem Auto.
    «Warum haben Sie geglaubt, dass sie unschuldig ist?», fragte er, als sie den Norr Mälarstrand entlangfuhren.
    Sie beschloss, aufrichtig zu sein.
    «Ich glaube, ich habe mich mit ihr identifiziert. Wenn sie unschuldig war, dann war ich es auch.»
    «Haben Sie schon was von der Polizei gehört? Hat man was über die Brandstiftung herausgefunden?»
    Sie schluckte.
    «Nein», erwiderte sie kurz und sah aus dem Fenster. Er setzte sie an einer Bushaltestelle bei Munkbron ab. «Sie müssen sich eine vernünftige Wohnung besorgen», sagte er.
    «Ich weiß», erwiderte sie und schlug die Autotür zu.

Epilog
FREITAG, 24. DEZEMBER HEILIGABEND
    Der Zug kam langsam mit kreischenden Bremsen heran und hielt an dem verlassenen Bahnsteig. Schneewolken stoben um Lok und Waggons, krochen in Türritzen und Metallfugen und verpackten das lange Gefährt in eine knisternde Hülle aus Eis. Sie stieg als Einzige aus.
    Mit einem Stöhnen rollte der
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