Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Autoren: Bastian Bielendorfer
Vom Netzwerk:
Kandidatenkategorien ich wohl einzusortieren war.
    Nach vielen Jahren »Wer wird Millionär« mit meinen Eltern vor dem Fernseher wusste ich, dass es drei Kategorien von Kandidaten gab.
    Die erste Kategorie: dumm wie eine Tüte Mücken, sitzt nur hier, weil die anderen Kandidaten bei der Auswahlfrage kollektiv niesen mussten.
    Die zweite Kategorie war zwar etwas erfolgreicher, aber weniger unterhaltsam: langweiliger Bausparer mit gesundem Grundwissen und ein paar tiefen Lücken, der spätestens bei der 16000-Euro-Frage vom Traum eines neuen Autos erzählt.
    Erst bei der dritten Kategorie wurde es richtig spannend: der Exot, der selbst noch auffällt, wenn er sich an Karneval als Clown verkleidet. Unberechenbares Potenzial entweder zur totalen Blamage oder zur Million.
    Unglaublich, dass ich jetzt wirklich hier saß. So viele Monate hatte ich darauf hingefiebert, war zweimal hoffnungsvoll im Studio erschienen, um kurz darauf wieder deprimiert und unverrichteter Dinge nach Hause zu fahren. Doch jetzt plötzlich war es wirklich passiert, ich saß auf dem Kandidatenstuhl bei »Wer wird Millionär«, und hatte mich immerhin schon auf die 8000-Euro-Frage gerettet, was für mich kellnernden Studenten ungefähr zwanzig Monatsgehälter bedeutete. Schon wieder griff ich zum Wasserglas. Seit ich mich auf den heißen Stuhl gesetzt hatte, befand ich mich in einer Art Wurmloch, einer Zeitkapsel, einem Vakuum jenseits der Realität. Mein Gehirn schien in Alarmstellung zu sein und nur seinen Arbeitsspeicher zu benutzen. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie ich Günther Jauch begrüßt hatte, wie ich meine Freundin als Begleitung vorgestellt hatte und wie die bisherigen Fragen lauteten –alles weg.
    »Die Renaissance ist die Wiedergeburt …?«, sah ich auf dem Bildschirm vor mir aufblitzen. Noch bevor Deutschlands beliebtester Quizmaster die Frage überhaupt vorlesen konnte oder die Antwortmöglichkeiten eingeblendet wurden, hatte ich mich schon auf eine Antwort eingeschossen.
    »Barock«, natürlich »Barock«, dachte ich, ohne es zu hinterfragen – mir hätte aber genauso gut »Kentucky Fried Chicken« oder »Dispersionsfarbe« durch den Kopf schießen können, und ich hätte mich darauf festgelegt. Gründlich nachzudenken, war in diesem Moment absolut unmöglich.
    Trotz der Scheinwerfer war mir gnadenlos kalt in meinem spinatfarbenen Übergrößenhemd, das meine Freundin mir mit Verweis auf Millionen Zuschauer empfohlen hatte. Im Spiegelbild des Touchscreens konnte ich mein Gesicht erkennen, das unter einer Lkw-Ladung Schminke verborgen lag, und auch meine Frisur sah aus wie ein Fall für den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Mein Scheitel war von der Maske mit einer kompletten Dose Haarspray auf meine Stirn gestanzt worden und so hart, dass man ihn als Dosenöffner benutzen konnte.
    Plötzlich blinkten die Antwortalternativen auf. »… des Barock«, lautete Antwort A, jawohl, hatte ich’s doch gewusst, jubilierte ich. Die anderen Möglichkeiten nahm ich schon gar nicht mehr wahr.
    »Des Barock«, erwiderte ich selbstsicher und fixierte Günther Jauch dabei. Ich erwartete ein zustimmendes Nicken, vielleicht sogar einen leisen Hauch von Bewunderung aufgrund meines profunden Wissens. Sollte es sich hier vielleicht um einen Teilnehmer der dritten Kategorie handeln?
    Doch nichts dergleichen war zu erkennen, nur ein zusammengepresster Mund, ein zur Brust gezogenes Kinn und ein Nicken, das mehr nach Entsetzen als nach Begeisterung aussah.
    Jetzt blieb mir nur noch die Flucht nach vorn. »Renaissance ist die Wiedergeburt von … Barock, Antike, Gotik oder Mittelalter?«, wiederholte ich und bemerkte dabei, dass »Renaissance« für jemanden wie mich mit einem schlimmen S-Fehler ein ähnlich fatales Wort war wie »Slawische Sahnesoße«. Zum Glück saß Jauch drei Meter von mir entfernt, sonst hätte man ihn jetzt trockenföhnen müssen.
    »Ich habe sofort an Barock gedacht«, rechtfertigte ich mich, doch Jauch entgegnete nur nüchtern: »Das muss ja dann nicht richtig sein.«
    Alarmstufe Rot, das war das Maximum an subtilen Warnsignalen, die man von Günther Jauch bekam, wer jetzt weiterspielte, ging in der Regel heulend nach Hause. Das kapierten selbst die fünf Gramm Hirnmasse, die warm unter meinem abstrusen Scheitel schlummerten.
    Mein Körper reagierte vor meinem Geist, ich verhaspelte mich und versuchte zu lächeln, während sich mein Magen in einen brodelnden Vulkan verwandelte. Meine Hände rieben sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher