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Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
Autoren: W Mass
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und legt ihn schließlich in den Karren zurück. An seiner Stelle übergibt er mir unsere übliche Sammlung von Rechnungen und Werbesendungen.
    »Warten Sie«, sage ich, nachdem er Lizzy ihre Post gegeben hat. »Was ist mit dem Karton? Ist der nicht für meine Mutter?«
    »Klar«, erwidert Nick. »Aber das ist eine Einschreibesendung. Das bedeutet, dass der Empfang von einem Erwachsenen quittiert werden muss.«
    »Aber meine Mutter ist den ganzen Tag auf der Arbeit. Sie hätte garantiert nichts dagegen, wenn ich unterschreibe.«
    »Jeremy ist schon so groß wie mancher Erwachsene«, verkündet Lizzy. »Das ist doch was wert.«
    Nick schüttelt den Kopf. »Deine Mutter kann das Paket morgen auf dem Weg zur Arbeit bei der Post abholen.«
    Lizzy, die nicht zu denen gehört, die so schnell aufgeben, sagt: »Der Karton sieht schwer aus. Sie wollen sich bestimmt nicht auf Ihrer gesamten restlichen Tour damit abschleppen, oder?«
    Nick lacht. »Der ist nicht übermäßig schwer. Das schaffe ich schon.« Er macht sich mit seinem Karren auf den Weg zum nächsten Haus und wir halten mit ihm Schritt.
    »Mensch, Nick«, bettle ich, »morgen ist Samstag und unsere Poststelle hat zu. Meine Mutter könnte das Paket erst am Montag abholen. Wenn es eine Sonderzustellung ist, heißt das vielleicht, es ist etwas ganz Wichtiges …«
    »Zum Beispiel Medikamente oder so«, ergänzt Lizzy.
    »Genau«, sage ich mit Nachdruck. »Etwas, das nicht ein ganzes Wochenende warten kann.«

    »Ich glaube, ich habe Mrs Fink heute Morgen husten hören«, sagt Lizzy. »Vielleicht hat sie diese Vogelgrippe oder die Röteln oder …«
    Nick hält die Hand hoch. »Es reicht, es reicht. Demnächst lasst ihr sie noch wegen Seuchengefahr in Quarantäne stecken.« Er greift nach dem Karton und Lizzy und ich grinsen uns kurz zu.
    Ich unterschreibe den Zettel so ordentlich wie möglich und gebe ihn Nick zurück.
    »Aber ihr müsst mir versprechen, dass sie ihn öffnet«, weist er uns an und legt den Karton in meine wartend ausgestreckten Arme.
    »Ja, ja«, sagt Lizzy. »Fremde Post zu öffnen, ist ein Verstoß gegen Staatsgesetze, wir kennen die Leier.«
    »Tschüss, Nick«, sage ich, erpicht darauf, das Paket rasch die Treppe hochzubefördern. Es ist nicht schwer, aber unbequem zu tragen.
    »Und immer schön aus Schwierigkeiten raushalten«, sagt er im Weggehen.
    »Wer, wir?«, ruft Lizzy ihm nach. Wir steigen das kurze Treppenstück zum ersten Stock hinauf, wo wir beide wohnen. Mom hat mir letzte Woche erzählt, dass demnächst eine neue Familie in die leer stehende Wohnung am Ende des Flurs einziehen wird. Ich bin sehr neugierig, wer sie sind. Zirkusartisten? Ein Baseballspieler aus der Minor League? Die meisten Kids würden wahrscheinlich auf andere Kids in ihrem Alter hoffen, aber das ist mir egal. Wozu braucht man mehr als einen guten Freund?
    Da ich die Hände voll habe, benutzt Lizzy ihren Zweitschlüssel zu unserer Wohnung, um die Tür zu öffnen. Ich gehe
schnurstracks in die Küche und stelle den Karton auf dem dreibeinigen Küchentisch ab, der eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem zweibeinigen Tisch darstellt, den meine Eltern an der Wand festleimen mussten, damit er nicht umkippte.
    »Und?«, fragt Lizzy mit dem vertrauten Leuchten in ihren Augen, das besagt: Lass uns was Verbotenes tun! »Machen wir’s auf?« Wir beugen uns beide gemeinsam über das Paket, um die Anschrift des Absenders zu lesen. Sie ist verwischt und schlecht zu entziffern.
    »Folgard and Levine, Esquires«, liest Lizzy.«Was bedeutet ›Esquires‹?«
    »Das sind Rechtsanwälte«, erkläre ich. Ich bilde mir etwas darauf ein, viele abseitige Dinge zu wissen. Das kommt von den vielen Stunden mitternächtlicher Lektüre.
    »Warum soll ein Trupp von Anwälten deiner Mutter etwas schicken?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Vielleicht hat sie eine Bank ausgeraubt«, schlägt Lizzy vor. »Und das Beweismittel gegen sie ist in diesem Paket!«
    »Also bitte«, sage ich. »Wie du an unserer Wohnung sehen kannst, hat Mom kein Interesse an teurem Zeug.«
    Ich sehe zu, wie Lizzys Blick die Vorhänge aus Glasperlenschnüren erfasst, das gebatikte Bettlaken an der Wand, das einen langen Riss verdeckt, die Sammlung alter, schwarz-weißer Postkarten, die allesamt einen Hund irgendeiner speziellen Rasse im Ballettröckchen zeigen, den dreibeinigen Tisch. »Okay«, sagt sie, »dann hat sie eben keine Bank ausgeraubt. Aber hör mal, vielleicht hat sie etwas gewonnen! Macht sie immer noch bei all
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