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Lea - Untermieterin bei einem Vampir

Lea - Untermieterin bei einem Vampir

Titel: Lea - Untermieterin bei einem Vampir
Autoren: Anna Winter
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keine hatte, dann wäre das einfach die Quintessenz meines persönlichen Elends gewesen. Das hätte mich ehrlich betrübt. Solange Tom also auf dem Trockenen saß und nichts zu Trinken hatte, war ich irgendwie beruhigt.
    „ Was hast du noch erfunden?“, hakte ich nach.
    „ Nicht viel. Ich hab mich recht bedeckt gehalten.“
    Es gab eben nicht viel zu erzählen, wo es nichts zu erzählen gab. Das konnte ich mir vorstellen. Ich wäre vermutlich eine Spur fantasievoller beim Lügen gewesen. Doch andererseits war seine Strategie nicht dumm. Auf die Weise konnte er seinen Eltern fast jede als seine Freundin präsentieren. Sogar mich.
    Mietkonditionen nahmen schon merkwürdige Pfade.
    „ Ich kann also weitestgehend ich selbst sein?“, hakte ich nach.
    „ Tu dir keinen Zwang an. Aber fahr nicht gleich aus der Haut, wenn ich meinen Arm um dich lege oder deine Hand halte.“
    „ Keine Küsse!“, insistierte ich.
    Es erschien mir ratsam, das schon im Vorfeld klarzustellen. Er hob feierlich die Hand und nickte. Doch als ich seine Hand sah, kam mir gleich der nächste Gedanke.
    „Keine Tuchfühlung, keine Fummeleien unter Kleidungsstücken.“
    „ Ich gelobe, keine Undercover-Aktionen zu starten.“
    So konnte man es wohl auch nennen.
    Er lenkte seinen Lincoln Continental aus der Stadt und fuhr Richtung Süden, was uns unweit der Küste entlang führte. Ich sah das goldblaue Schimmern des Atlantiks. Savannah war eine historische Hafenstadt und ich vergötterte die Nähe zum Meer.
    „ Wo wohnt deine Familie denn?“
    Die Landschaft war bezaubernd. Schweig still, mein Herz. Ich seufzte und kurbelte das Fenster herunter – Tom fuhr ein älteres Modell – und atmete die dunstige Luft ein. Mein welliges Haar kitzelte meine Haut, als die Strähnen im Wind trieben. Ich schloss die Augen und genoss die Sonne im Gesicht und das monoton flüsternde Geräusch der Räder auf der Fahrbahn.
    „Es ist nicht weit. Nur ein paar Meilen südlich.“
    Schließlich lenkte er den Wagen von der Küstenstraße und bog landeinwärts. Wir kamen durch eine botanisch herrliche Gegend, fuhren schließlich eine prächtige Allee entlang. Das lichtdurchbrochene Grün der Bäume funkelte mit dem Gold der Sonne und bot ein faszinierendes Wechselspiel. In einem sich durch den Wind endlos fortsetzenden und niemals findenden Blättermuster fügten sich die Baumkronen zu einer ungekannten Schönheit, die nicht irdisch sein konnte. Erst nach einigen Sekunden merkte ich, dass ich den Atem anhielt.
    „Hübsch, nicht?“, fragte Tom.
    „ Ein bisschen untertrieben.“
    Doch ich stimmte ihm zu. Es war einer dieser Orte, der es auf die großen Leinwände in vergangenen Filmepen geschafft haben mochte.
    „Als ich klein war, bin ich bei Nacht oft nackt diesen Weg lang gelaufen“, erzählte er unvermittelt. „Nur ich allein mit der Natur. Kennst du diesen Drang, einfach eins werden zu wollen, um zu der Schönheit eines Moments unbedingt dazuzugehören? Ich weiß noch heute, wie die Luft schmeckte, wie die Grillen zirpten und die Sterne vereinzelt durch das Blätterdach schimmerten. Wenn dieser Abend eine Farbe hatte, dann war er nicht schwarz sondern silbern. Und über allem schien der Mond. Er kam mir unendlich groß vor.“
    Ich schluckte. Nie, wirklich nie , hätte ich gedacht, dass Tom zu so einem Satz fähig war. Männer sagten nichts dieser Art. Ich schob es auf seine Erinnerung, die noch dazu als reine, unverdorbene Betrachtung eines Kindes entstanden war. Wenn er nun diese Straße wieder entlang fuhr, dann kehrte diese Nacht wohl von ganz allein in sein Bewusstsein zurück wie eine sehnsuchtsvolle Geliebte.
    Offensichtlich hatte er geschafft, was er damals wollte als er nackt hier unter den Bäumen lief: Es hatte sich in ihn eingebrannt und war eins mit ihm geworden. Ich wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, doch ich war neidisch, diese Nacht nie gehabt zu haben. Also räusperte ich mich.
    „ Tut mir leid“, sagte er.
    Ich sah ihn verwundert von der Seite an. Er hatte ein angenehmes Profil. Wenn er nicht sprach oder lachte, konnte ich die Spitzen seiner Zähne nicht sehen. Im Augenblick trug er ein verlegenes Lächeln.
    „Ich sollte wohl keine Themen anschneiden, die davon handeln, dass ich nackt war“, erklärte er.
    „ Schon okay. Du warst ein Kind.“
    Wieder huschte ein Schatten über sein Gesicht, doch er nickte nur.
    „Richtig.“
    Unser Gespräch endete unvermittelt, als er den Motor verstummen ließ. Wir waren angekommen und ich sah
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