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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy
Autoren: M Weins
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Spezies Mensch ist, dass ich mich immer relativ schnell mit sich ergebenden Situationen anfreunden kann und bestrebt bin, das Komische daran zu sehen.
    Das ist schon seit meiner Kindheit so. Als Sechsjähriger habe ich einmal beim Versteckspielen im Gebüsch in Menschenscheiße gegriffen. Ich wusste sofort, dass es Menschenscheiße, keine Hundescheiße war, ich habe es am Geruch und an der Farbe erkannt, ein ultraintensiv leuchtendes Orangebraun. Erst habe ich geweint, die Hand voll Menschenscheiße, aber dann musste ich lachen, weil es so doof war. Menschenscheiße! Das hat sicherlich etwas mit meiner Geschichte zu tun, mit meinem Herkommen, meiner Familie, meinen Eltern usw. Vieles kommt einem witzig vor, wenn man durch die sauber gekachelte Hölle gegangen ist. Im besten Fall hilft es dabei, eine halbwegs anständige Zeit zu erleben. Man hat eventuell mehr Spaß als die anderen, zumindest rennt man öfter mit einem Grinsen im Gesicht herum. Andererseits führt sie im Negativen auch dazu, diese meine Fähigkeit, dass ich im Leben oftmals nicht besonders wählerisch und ambitioniert bin. Ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Ich nehme, was und wie es kommt.
    Ich saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Kante eines Möbelhausbettes für 399 Euro, auf dem Schoß mein Brettchen. Ich ließ es mir schmecken. Ich lächelte.
    Das zweite Mal verließ ich gerade den Supermarkt mit einer Einkaufstüte in der Hand und lächelte dem Verkäufer der Obdachlosenzeitschrift zu. Ich hatte die ganze Hosentasche voller Kleingeld und ließ es aufdringlich klimpern. Ich gebe ihm niemals auch nur einen Cent. Ich grüße ihn immer betont freundlich, immer, denn er steht immer da mit seinen Zeitschriften, und er grüßt mich immer zurück mit seinem zahnlosen Gesicht, ein devotes Nicken, bei dem er mir nicht in die Augen, sondern auf den Boden blickt. Aber Geld bekommt er keins von mir, nie. Und seine doofe Zeitschrift will ich auch nicht, nicht mal geschenkt.
    Ich mache also den Schritt durch die Supermarkttür hinaus in die Welt, und im nächsten Moment stehe ich zu Hause im Flur mit der Einkaufstüte in der Hand und fühle mich, als hätte ich mich nachmittags eine Stunde hingelegt und würde nach einem unangenehm tiefen Schlaf erwachen und müsste mich erst wieder in der Welt zurechtfinden.
    Ich stellte die Tüte mit den Einkäufen neben mich auf die Holzdielen und schloss die Wohnungstür. Dann wunderte ich mich. Wo war der Weg gewesen? Ich ging im Kopf die Strecke vom Supermarkt zu meiner Wohnung nach. Es fiel mir nicht schwer, den Weg virtuell um alle Sinneseindrücke zu ergänzen, die normalerweise dazugehören, die gurrenden Tauben, der kühle Wind, der Geruch nach Hundekot in meinem Viertel, ab und zu das Tuten eines Schiffshorns, das vom Hafen rüberweht. Ich muss mehr schlafen, sagte ich mir. Es kann doch nicht sein, dass ich nur die Hälfte meines Lebens mitbekomme. In der Schlussbilanz fehlen mir hinterher ganze Jahre. Aber irgendwie wunderte ich mich noch immer nicht über die Maßen. Am Abend zuvor hatte ich getrunken. Und von Zeit zu Zeit überkommen mich seit jeher Anfälle zügelloser Zerstreutheit.
    Das nächste Mal empfand ich es schon als beunruhigender. Da ging mir das erste kleine Licht auf. Monika und ich waren im Edelweiß gewesen, einem Laden für wesentlich jüngere Leute als mich. Monika ist vier Jahre jünger als ich. Es war am Wochenende, am Samstag, und Monika war mit ihrer Freundin Laura unterwegs. Sonst ging Monika eigentlich kaum noch weg, in der Woche, ohne Laura, seit sie den Job im Institut angefangen hatte. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich hasse das Wochenendpublikum, ich mag das Gefühl in der Woche, wenn nur Menschen ohne feste Ordnung im Leben unterwegs sind, nicht der ganz große Partymob aus den Vorstädten. Ich stand am Rand der Tanzfläche und schaute den beiden zu, wie sie ihre gut trainierten Arme in die Luft hielten. Wie das Scheinwerferlicht auf der Haut glänzte. Ich kam mir vor wie der Großvater der Partybewegung, kommt her, Schulmädchen, und tanzt wild für Opa Lazyboy! , vom Gefühl her hätte ich den halben Laden adoptieren können, ich kam mir fehl am Platze vor, und ich hatte das Gefühl, die kleinen blonden Party-Schulmädchen guckten mitleidig an mir hoch, während ich gierig an ihnen hinunterblickte. Ich hatte ein schwarzes Sweatshirt unter dem Jackett an, auf dem ein Skifahrer in Abfahrtshaltung abgebildet ist, eine Spur zu jugendlich vielleicht. Es lief irgendein
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