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Lavendel und Blütenstaub

Lavendel und Blütenstaub

Titel: Lavendel und Blütenstaub
Autoren: J. Habersatter
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ergeben."
    "Was meinst du? Es ist doch nichts Schlimmes, oder?" Erwin fasste nach Gabrielas Hand. Ungläubig blickte er in die ernsten Gesichter.
    "Doch, es ist schlimm, Erwin. Ich habe Krebs." Anna klang gefasst. Einzig die Finger ihrer Hände, die in das Laken gekrallt waren, verrieten ihre Anspannung.
    "Krebs?" Er verstand nicht. Wie konnte seine Mutter Krebs haben? Die vielen Online-Artikel, die er tags zuvor im Internet gesehen hatte, tauchten vor seinem geistigen Auge auf.
    "Ja, Krebs. Schlimmen Leberkrebs. Und ich habe Metastasen an der Lunge. Oder war es an den Nieren?" Sie sah Stella fragend an. "Ach, egal, es sieht jedenfalls nicht gut aus."
    Traurig schloss Anna die Augen. Eine Träne rann aus den Augenwinkel und tropfte auf das weiße Kissen. Ihre Hände zitterten leicht, als sie sich noch fester um das weiße Laken schlossen.
    "Was heißt das jetzt?" Erwin war entsetzt.
    "Das heißt, dass Mama sterben wird," warf Stella patzig dazwischen.
    Anna blickte erstaunt auf und sah leicht ärgerlich zu ihrer Tochter.
    "Aber das wird dir ja egal sein, so wie dir ansonsten auch alles egal war." Stella schrie die letzten Worte beinahe und sprang auf. Sie schnappte sich ihre Handtasche von der Stuhllehne und stürmte an Gabriela vorbei zur Tür hinaus.
    "Nimm Stella nicht ernst, Erwin. Du weißt, dass sie es nicht so meint", sagte Anna entschuldigend.
    "Ja, schon gut, Mutter. Ist ja nichts Neues." Hilflos sah Erwin zu seiner Frau.
    Gabriela lächelte ihm aufmunternd zu. "Dr. Werneck meinte, du kannst zu ihm, sobald du da bist. Er erklärt dir noch einmal die weiteren Schritte. Ich kann inzwischen bei Anna bleiben, wenn es recht ist." Unsicher sah sie zu ihrer Schwiegermutter.
    Diese nickte und schloss wieder die Augen. Sie sah erschöpft aus. Und irgendwie auch krank, schoss es Erwin durch den Kopf. Konnte das sein? Konnte ein robuster Mensch, wie es seine Mutter war, sich in nicht einmal einen Tag so verändern?
    Auf dem Weg zum Dienstzimmer von Dr. Werneck hallten Erwin noch die Worte von Stella durch den Kopf.
    "... wie dir ansonsten auch alles egal war!"
    Dachte seine Schwester so von ihm? Hatte sie wirklich das Gefühl, dass ihm alles egal war? Nur weil er etwas getan hatte, was er für sich und seine Familie für richtig hielt? Weil er seinen Weg gegangen war?
    Ihr Vater Johann hatte mit vierzig Jahren von seinem Vater, der früh und unerwartet gestorben war, den Greißlerladen "Waren-Lukas" übernommen. Erwin war im Geschäft groß geworden und Johann hatte ihn schon früh angelernt. Als Erwin in die Schule kam, war es seine Pflicht gewesen, nach dem Unterricht sofort zu seinem Vater zu eilen, um im Geschäft mitzuhelfen. Hausaufgaben machte er erst spät Abends vor dem Zubettgehen.
    Viele Jahre später, als Erwin in seinem Beruf als Einzelhandelskaufmann in einem angesehenen Geschäft arbeitete, ging Johann gemeinsam mit Anna in Pension und übergab den kleinen Laden, der mehr schlecht als recht lief, an Erwin. Bei der Übergabe sagte er: "'Waren-Lukas' muss immer vom ältesten Lukas geführt werden. Nun bist du an der Reihe, Sohn! Mach was draus!"
    Erwin kündigte daraufhin unwillig, aber pflichtbewusst der Familie gegenüber, seinen Job und führte ein Jahr lang den Laden. Dann schmiss er das Handtuch. Eine angesehene Lebensmittelkette hatte für die Geschäftsräume ein Angebot gemacht, und Erwin nahm an. Seinem Vater brach es das Herz, seine Mutter redete drei Jahre lang nicht mit ihm und Stella war seit dem sowieso nur noch schlecht auf ihn zu sprechen. Man sollte meinen, dass siebzehn Jahre eine lange Zeit wären, um Gras über eine Sache wachsen zu lassen. Mittlerweile schien es ein Urwald zu sein und Stella hatte ihm noch immer nicht verziehen. Er hatte die Hoffnung mittlerweile aufgegeben, ihr seine Beweggründe erklären zu können und auf eine Versöhnung zu hoffen.
    "Herein?"
    Erwin stand vor Dr. Wernecks Dienstzimmer. Er hatte geklopft und öffnete die Tür. In dem sonnendurchfluteten Raum stand ein Schreibtisch mit Computer, hinter dem Dr. Werneck saß und ihn freundlich anlächelte.
    "Guten Tag, Herr Lukas. Schön, dass Sie gekommen sind."
    "Grüß Gott, Herr Doktor. Tut mir leid, dass es nicht eher ging. Meine Frau sagte mir, dass Sie mich sprechen wollten."
    "Ja. Wie Sie vielleicht schon wissen, steht es sehr schlecht um Ihre Mutter."
    Erwin nickte betroffen. Es ist also wahr, dachte er. Irgendwie hatte er gehofft, es wäre nur ein böser Scherz gewesen. Sein Hals war wie zugeschnürt.
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