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Lavendel und Blütenstaub

Lavendel und Blütenstaub

Titel: Lavendel und Blütenstaub
Autoren: J. Habersatter
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Unauffällig lockerte er die Krawatte. Sie kam ihm plötzlich so eng vor.
    "Wir hatten gestern bereits bei der Erstuntersuchung eine vergrößerte Leber und Wasseransammlungen im Bauchraum festgestellt", fuhr Dr. Werneck fort. "Die darauffolgende Ultraschalluntersuchung hatte ergeben, dass sich Schatten an der Leber befinden, weshalb wir für heute eine Computertomografie angeordnet hatten."
    Wieder nickte Erwin.
    "Nun, Herr Lukas, die Computertomografie hat unsere Befürchtungen leider bestätigt. So leid es mir tut, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Mutter an einem bösartigen Leberkrebs leidet. Es befinden sich dort bereits zwei größere Tumore."
    Erwin schluckte. "Wie stehen die Chancen?", brachte er leise hervor.
    "Nun, um ehrlich zu sein, die Chancen, Leberkrebs zu behandeln oder gar zu heilen, stehen trotz der medizinischen Fortschritte sehr schlecht. Berücksichtigt man das Alter Ihrer Mutter, dann sieht es sogar noch schlechter aus. Natürlich könnten wir optional auch eine Teilentfernung des Lebertumors durchführen, aber das würde keine Heilung garantieren. Zudem ist, wie wir bei der Computertomografie festgestellt haben, auch die Lunge mit Metastasen befallen. Es ist einfach eine zu lange Zeit unerkannt verstrichen."
    "Wie lange bleibt ihr noch?" Erwins Stimme klang tonlos.
    "Ein paar Wochen. Monate." Dr. Werneck zuckte mit den Schultern. "Oder auch mehr. Es kommt auf Ihre Mutter an."
    "Ein paar Wochen ... Sind Sie sicher?"
    "Irrtum ausgeschlossen. So leid es mir tut, das sagen zu müssen."
    Erwin glaubte dem Arzt. Die letzten Worte waren nur noch geflüstert gewesen und er klang aufrichtig ehrlich und auch betroffen. Man sah ihm an, wie nah ihm diese Diagnose ging.
    "Es tut mir leid", wiederholte er.
    Den Weg zurück zu Annas Zimmer ging Erwin wie im Trance. Er fühlte sich sechzehn Jahre zurückversetzt, als er die Todesnachricht von seinem Vater erhalten hatte.
    Es war Sommer gewesen. Der Verkauf des Greißlerladens war ein Jahr her, und nicht nur, dass seine Eltern ihm zürnten, sie sprachen auch nicht mehr mit ihm. Wenn er anrief, dann legten sie wieder auf. Sahen sie sich zufällig auf der Straße, wechselten sie die Straßenseite. Nur seiner Tochter gegenüber verhielten sie sich normal, worüber er froh war. Aurelia konnte mit ihren damaligen knappen zehn Jahren schließlich am wenigsten dafür.
    Als der furchtbare Anruf kam, war Erwin gerade in einem der ersten Meetings in seinem neuen Job als Geschäftsführer gewesen. Er war stolz darauf, seiner Frau und der gemeinsamen Tochter ein solides Einkommen bieten zu können.
    "Spreche ich mit Herrn Lukas junior?"
    "Ja, am Apparat. Wer ist da?"
    "Guten Tag. Mein Name ist Dr. Hansemann. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Vater bei uns in der Klinik verstorben ist."
    Nachdem Erwin die Adresse notiert hatte, setzte er sich ins Auto, um die zweihundert Kilometer zur angegebenen Klinik zu fahren. Weder wusste er, dass seine Eltern auf Wanderurlaub in den Bergen gewesen waren, noch, dass sein Vater seit einem Jahr an einem Magengeschwür gelitten hatte. Dieses war ihm zum Verhängnis geworden. Bis Johann mit dem Hubschrauber geborgen war und die lebensrettende Klinik erreicht hatte, war es zu spät; er erlitt einen Magendurchbruch. Einen Tag später war er an einer schmerzhaften Entzündung im Bauchraum gestorben. Erwin konnte sich nicht einmal mehr verabschieden, geschweige denn entschuldigen. Zu spät war der Anruf gekommen.
     
     
    Anna
     
    Erwin kam mit einem ernsten Gesichtsausdruck von Dr. Werneck zurück. Anna konnte sich zu gut vorstellen, was er soeben gehört hatte. War sie selbst doch nicht weniger geschockt gewesen von der Lebenserwartung, die sie noch hatte.
    Gabriela stand immer noch am Fenster. Scheinbar teilnahmslos sah sie auf den Verkehr vor dem Gebäude. Seit Erwin weg war, hatten sie kein Wort gewechselt. Anna hatte es schon lange aufgegeben, den Kontakt zur Schwiegertochter zu suchen. Egal was sie sagte, Gabriela reagierte nicht, und wenn, dann nur kurz angebunden.
    Stella war nicht wieder aufgetaucht. Wahrscheinlich war sie nach Hause gefahren und würde erst am Abend wiederkommen, wenn sie sicher sein konnte, dass ihr Bruder weg war, dachte Anna.
    Erwin setzte sich schweigend auf den Stuhl neben ihr Bett. Er nahm ihre Hand in die seine und sagte nichts. Minutenlang saß er ruhig da, dann räusperte er sich. "Wie geht es jetzt weiter?"
    "Wenn ich das wüsste", antwortete Anna ehrlich.
    "Du wirst dich doch operieren
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