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Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988)
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
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Ich warte auf den nächsten, den voraussichtlich letzten Anruf des Commanders.
     
    Meine Geduld ist auf eine harte Probe gestellt worden. Und mein in vielen Jahren mühsam aufgebautes Selbstverständnis ebenfalls.
    Ich habe den Bordcomputer befragt, welche Auswirkungen ein atomarer Schlag gegen die Odin auf das darunter liegende Gebiet der Erde haben würde. Ich bin sicher, daß meine eingegebenen Daten stimmen. Das Ergebnis ist schockierend. Zwar wird der epizentrale Bereich der Detonation den Erdboden aller Voraussicht nach nicht erreichen, und auch die Druckwelle wird von der Leere des Orbits aufgesaugt werden, aber die Hitze wird auf einem Gebiet von der Fläche einer Großstadt so hoch werden, daß alles Leben zu Asche verbrennen wird. Hinzu wird eine vernichtende Radioaktivität kommen, deren Strahlungsdichte überhaupt nicht abzusehen ist. Sie übersteigt mein Vorstellungsvermögen beträchtlich.
    Unter diesen Bedingungen kann ich mich nicht entschließen, die Odin anzugreifen.
    Am meisten betroffen aber macht mich der Umstand, daß sich mir jetzt immer häufiger die Gesichter von Dora und Jarina aufdrängen, beide, obwohl sie doch so wenig miteinander gemeinsam haben, mit dem gleichen, traurigen Ausdruck, den ich nicht zu deuten weiß. Und dabei bin ich doch sicher, daß diese beiden Menschen, denen ich einst näher gestanden habe als irgend jemandem sonst, nicht anders handeln würden, sähen sie sich in eine ähnliche Situation gestellt.
    Der letzte Anruf des Commanders ist erfolgt.
    Ich konnte Glenn Morris, wenn ich die Augen schloß, direkt vor mir sehen, steil aufgerichtet zwischen Sessel und Pult schwebend, den goldenen Skaphander bis zum Hals hinauf geschlossen. Er brachte sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, daß sich der Gegner noch immer nicht zum Angriff entschlossen hat.
    Danach hat er uns von seinem Entschluß, die Odin auf eine höhere Bahn zu führen, in Kenntnis gesetzt. Er nannte eine durchaus rationale Begründung. Er wolle so eine wesentlich breitere Fächerwirkung erzielen, erklärte er. Das aber glaube ich ihm nicht. Vielmehr nehme ich an, daß dabei der wenn auch sicherlich unbewußte Wunsch, dem Tod einige Kilometer ferner zu sein, eine Rolle gespielt hat.
    Am Ende hat er sich dann von uns verabschiedet. Er weiß so gut wie wir, daß es der letzte Gruß war. Trotzdem hat er mich wieder nicht direkt angesprochen. Selbst bei diesem letzten Gespräch nicht.
     
    Es wird tatsächlich der letzte Kontakt gewesen sein. Meine Chance ist gekommen. Der Commander selbst bietet sie mir. Nun, da er die Odin weiter von der Erde wegführt, gelten meine Bedenken nicht mehr. Auch wenn die Explosionswelle die Erdoberfläche erreichen sollte, sie wird kaum noch Verheerungen anrichten können.
    Die großen nordamerikanischen Seen, von weißlichen Wolkenballen übertupft, liegen unter uns. Es wird Zeit.
    Harold Newman ist von der Steuerung der Arrow voll in Anspruch genommen. Er hebt uns auf eine höhere Bahn, der Odin nach, die noch immer in Sichtweite vor uns rotiert, ein silbriger Balken mit einer unförmigen Verdickung in der Mitte vor dem pastellenen Regenbogen des Horizonts. Weit vor uns tauchen die ersten Blöcke des arktischen Eises auf. Dahinter liegt das Zielgebiet.
    Meine Bewegung in Richtung Ortungsmanual ist unauffällig. In den vergangenen Stunden habe ich mehrmals die Einstellung verändert, und Harold Newman hat es nie bemerkt. Er beachtet meine Bewegung auch jetzt nicht. Diesmal jedoch geht meine Hand über den Hebel hinaus und umfaßt den Kolben seines Henderson.
    Nicht mehr als einen halben Zentimeter rucken seine Hände mit den Steuerungshebeln nach vorn, als ich ihm den Lauf der Waffe gegen die linke Lende presse, dann hat er sich schon wieder in der Gewalt. Diese stoische Ruhe macht mir mehr Sorgen als alles andere. »Schalte die Automatik ein und nimm die Hände hoch, Harold.«
    Ein wenig beeindruckt scheint er doch zu sein. Ich sehe es an seinem Gesicht, das plötzlich blaß geworden ist.
    Er blickt mich an, als sähe er mich jetzt zum erstenmal. »Laß den Unsinn, Mensch!« sagt er. Dann hebt er langsam beide Hände und kneift die Lippen ein. »Also doch!«
    Jetzt kann eigentlich nur noch dadurch alles verdorben werden, daß er den abenteuerlichen Versuch unternimmt, mich zu überlisten. Zuzutrauen wäre es ihm.
     

    Dann bliebe mir nichts, als ihn umzubringen, und das nur wenige Minuten bevor uns ohnehin das nukleare Feuer fressen würde. Es wäre mir trotzdem nicht einerlei.
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