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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen
Autoren: Agatha Christie
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»Ich weiß leider noch nicht genau, wo alles ist. Ich bin nämlich erst seit zwei Tagen hier. Warten Sie… Ja, sicher, wir sind uns doch schon einmal begegnet, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Tuppence. »Als Sie noch im Haus Sonnenhügel waren.«
    »Sonnenhügel? Ja, Sonnenhügel. Das erinnert mich doch an jemanden? Natürlich, die liebe Miss Packard! Ja, ein sehr angenehmes Haus.«
    »Sie sind dann aber ganz plötzlich abgereist.«
    »Ach, die Leute kommandieren einen so herum«, klagte Mrs Lancaster. »Sie hetzen einen so. Nicht einmal zum Packen bleibt einem Zeit. Sicher, es ist gut gemeint. Und natürlich habe ich die liebe Nellie sehr gern, aber sie ist eine sehr herrschsüchtige Frau. Ich denke manchmal« – Mrs Lancaster beugte sich zu Tuppence –, »dass sie nicht ganz…« Sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »So etwas kommt vor. Besonders bei alten Jungfern. Sie opfern sich für andere auf, aber sie werden manchmal wunderlich. Ja, die arme Nellie! Was sie allein für die Gemeinde getan hat! Und ich glaube, sie war auch immer eine sehr gute Sekretärin. Trotzdem hat sie seltsame Ideen. Zum Beispiel, dass sie mich ganz plötzlich vom Sonnenhügel fortholt und nach Cumberland bringt. Schrecklich war es dort. – Und dann muss ich auf einmal hierher…«
    »Wohnen Sie denn jetzt hier?«, fragte Tuppence.
    »Wenn Sie das wohnen nennen. Es ist wirklich höchst merkwürdig. Ich bin erst seit zwei Tagen hier.«
    »Davor waren Sie in Rosetrellis-Court in Cumberland…«
    »Ja, ich glaube, so hieß es. Richtig wohl gefühlt habe ich mich dort nie. Die Bedienung war schlecht; und der Kaffee war schauderhaft. Aber schließlich hatte ich mich doch eingelebt und interessante Menschen kennen gelernt. Wissen Sie, es ist immer nett, wenn man Verbindungen hat.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Tuppence.
    Mrs Lancaster fuhr liebenswürdig fort: »Warten Sie… Sie waren im Sonnenhügel und haben eine der Damen besucht.«
    »Die Tante meines Mannes. Miss Fanshawe.«
    »Ach, ja, natürlich. Ich erinnere mich wieder. – Und war nicht etwas mit Ihrem Kind? War es hinter dem Kamin?«
    »Nein«, sagte Tuppence. »Nein. Das war nicht mein Kind.«
    »Aber hierher sind Sie deswegen gekommen? Hier gibt es nämlich Ärger mit einem Kamin. Ein Vogel soll hineingefallen sein. Alles ist baufällig. Mir gefällt es hier gar nicht. Überhaupt nicht. Und das werde ich Nellie auch bei der nächsten Gelegenheit sagen.«
    »Wohnen Sie bei Mrs Perry?«
    »Ja und nein. Ich glaube, ich kann Ihnen ein Geheimnis anvertrauen.«
    »Ja«, sagte Tuppence. »Sie können mir trauen.«
    »Hören Sie, eigentlich wohne ich nicht hier, nicht in diesem Teil des Hauses. Dieser Teil gehört den Perrys.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Es gibt einen anderen Teil. Man muss nach oben gehen. Kommen Sie mit. Ich führe Sie.«
    Tuppence erhob sich. Sie hatte immer noch das Gefühl, in einem wirren Traum zu leben.
    »Ich schließe nur erst die Tür ab. Es ist sicherer.«
    Mrs Lancaster führte Tuppence über eine schmale Treppe in den ersten Stock und durch ein Schlafzimmer in einen angrenzenden Raum. Bis auf ein Waschbecken und einen hohen Kleiderschrank war er leer. Mrs Lancaster trat neben den Schrank, griff dahinter und schob ihn plötzlich offenbar ganz mühelos zur Seite. Hinter dem Schrank war ein Kamin. Über dem Sims hing ein kleiner Spiegel mit einem Aufsatz, auf dem mehrere Porzellanvögel standen. Zu Tuppences größter Verblüffung packte Mrs Lancaster den mittleren Vogel und zog kräftig an ihm. Er war am Aufsatz befestigt. Es klickte laut, und dann glitt der gesamte Kamin nach vorn.
    »Raffiniert, nicht wahr?« sagte Mrs Lancaster. »Diese Geheimtür gibt es schon sehr lange. Seit dem Umbau. Man nannte das ›Priesterversteck‹, aber ich glaube nicht, dass es das war. Nein, es hat bestimmt nichts mit einem Priester zu tun gehabt. Aber kommen Sie. Hier wohne ich nämlich jetzt.«
    Gleich darauf waren sie in einem schönen, großen Raum, dessen Fenster auf den Kanal und die dahinterliegenden Hügel blickten.
    »Ist es nicht ein hübsches Zimmer?«, fragte Mrs Lancaster. »Und die schöne Aussicht! Ich habe es immer geliebt. Hier habe ich nämlich als junges Mädchen schon mal gewohnt.«
    »Ach?«
    »Es ist kein glückliches Haus. Es hieß immer schon, dass das Haus nur Unglück brächte. – Wissen Sie, ich glaube, ich mache das wieder zu. Man kann nicht vorsichtig genug sein, finden Sie nicht auch?«
    Sie streckte die Hand aus
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