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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen
Autoren: Agatha Christie
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selbst nicht mehr weiß, was ich suche. Mit dem Bild geht es mir ebenso. Boscowan hat es gemalt, und ein anderer hat ein Boot hingekleckst und es…«
    »… Tigerlily genannt.«
    »Nein, Waterlily. Mrs Boscowan ist sicher, dass das Boot nicht von ihrem Mann stammt. Sie ist übrigens ziemlich furchteinflößend.«
    »Mrs Boscowan?«
    »Ja. Ich meine, sie ist so gewaltig… so überwältigend.«
    »Ich verstehe.«
    »Sie weiß alles«, fuhr Tuppence fort. »Es gibt eben Dinge, die man fühlt und deshalb weiß.«
    »Das scheint mir deine Methode zu sein, Tuppence.«
    Tuppence folgte ihren eigenen Gedanken. »Du kannst sagen, was du willst, aber das Ganze dreht sich um Sutton Chancellor, um das Kanalhaus und um die Menschen, die dort gewohnt haben, jetzt und früher. Manches muss schon vor langer Zeit gewesen sein.«
    »Du denkst an Mrs Copleigh?«
    »Ach, Mrs Copleigh hat viel dazugedichtet und dadurch alles noch mehr verwirrt. Ich glaube, sie hat auch zeitlich alles durcheinander gebracht.«
    »Das kommt leicht vor, besonders auf dem Land.«
    »Das weiß ich«, sagte Tuppence. »Ich bin in einem Pfarrhaus auf dem Land aufgewachsen. Dort datiert man nach Ereignissen und nicht nach Jahren. Niemand sagt: ›Das war 1930 oder 1925‹, sondern sie sagen: ›Das war im Jahr nach dem Brand der alten Mühle‹, oder: ›Das passierte, nachdem der Blitz den alten James erschlagen hatte‹, oder: ›Das war im Jahr, als wir die Kinderlähmungsepidemie hatten.‹ Dadurch sehen sie Dinge nie in der richtigen Reihenfolge. Es wird alles so kompliziert, weil immer nur Einzelheiten auftauchen.« Tuppence legte die Stirn in Falten. »Und das Schlimmste ist natürlich, dass ich selbst langsam alt werde.«
    »Sie sind ewig jung«, sagte Ivor galant.
    »Unsinn«, wies ihn Tuppence zurecht. »Ich bin alt, weil mich mein Gedächtnis im Stich lässt.«
    Sie stand auf und wanderte durch das Zimmer.
    »Dieses Hotel!« Sie verschwand im Schlafzimmer und kam kopfschüttelnd zurück. »Keine Bibel.«
    »Bibel?«
    »Ja. In altmodischen Hotels liegt immer eine Gideon-Bibel auf dem Nachttisch.«
    »Willst du eine Bibel haben?«
    »Ja, das wollte ich. Ich war früher bibelfest. Für eine Pfarrerstochter gehörte sich das. Aber jetzt habe ich viel vergessen. Und in den Kirchen gibt es nur diese neumodischen Bibeln, in denen die Texte nicht mehr stimmen. – Wenn ihr beide zu der Maklerfirma geht, fahre ich nach Sutton Chancellor.«
    »Wozu? Ich verbiete es dir strengstens«, sagte Tommy.
    »Ich will doch nur in die Kirche und mir die Bibel ansehen. Wenn das auch eine neue ist, gehe ich zum Vikar. Der wird doch sicher noch eine alte Bibel haben.«
    »Und was willst du damit?«
    »Ich will nur den Text nachsehen, der auf dem Grabstein stand. Er interessiert mich.«
    »Das ist sehr schön, aber ich traue dir nicht, Tuppence. Sobald du aus meinem Blickfeld verschwindest, passiert sicher wieder etwas.«
    »Ich gebe dir mein Wort, dass ich nicht mehr auf dem Friedhof herumkrieche. Die Kirche, am hellen Vormittag, und das Arbeitszimmer des Pfarrers, mehr nicht. Das ist ja wohl harmlos genug.«
    Tommy betrachtete seine Frau voller Zweifel, dann gab er nach.
     
    Tuppence parkte vor der Friedhofspforte und sah sich nach allen Seiten um, ehe sie zur Kirche ging. Sie hatte das natürliche Misstrauen eines Menschen, dem an einem bestimmten Ort schon einmal Böses widerfahren ist. Aber diesmal schien wirklich niemand hinter einem Grabstein zu lauern.
    Sie betrat die Kirche, in der eine ältere Frau Messing polierte. Tuppence ging auf Zehenspitzen zum Pult und blätterte in der Bibel. Die alte Frau warf ihr einen argwöhnischen Blick zu.
    »Ich will sie nicht stehlen«, sagte Tuppence beruhigend, klappte die Bibel zu und verließ die Kirche wieder. Sie hätte sich gern die Stelle angesehen, wo kürzlich der Schatz ausgegraben worden war, aber sie dachte an ihr Versprechen und unterließ es. Sie fuhr mit dem Wagen das kurze Stück bis zum Pfarrhaus, stieg aus und läutete an der Haustür. Alles blieb stumm. Die Klingel wird kaputt sein, überlegte Tuppence. Sie drückte gegen die Tür, die sofort nachgab.
    Auf dem Dielentisch lag ein großer Umschlag mit ausländischen Briefmarken. Er trug den Aufdruck einer Missionsgesellschaft in Afrika.
    Ich möchte kein Missionar sein, dachte Tuppence. Und hinter dem flüchtigen Gedanken verbarg sich etwas anderes, etwas, das mit einem Tisch in einer Diele zu tun hatte. Etwas, an das sie sich erinnern musste… Blumen?
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