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Laugenweckle zum Frühstück

Laugenweckle zum Frühstück

Titel: Laugenweckle zum Frühstück
Autoren: E Kabatek
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Fußantrieb. Wir duzten uns alle und hatten wirklich Spaß zusammen, so dass wir gar nicht merkten, wie viel wir arbeiteten, und nach unseren Zwölf-Stunden-Schichten gingen wir immer noch in die
Rosenau
– das ist eine Kneipe im Westen – und tranken Prosecco oder Weizen. Meine Tante Dorle begann, sich Sorgen um mich zu machen. »Mädle, du schaffsch zviel. So fendsch nie an Maa!« Ich beruhigte sie. Es stimmte zwar, dass ich keine Freizeit hatte, aber weil es den anderen genauso ging, freundeten wir uns alle miteinander an und verstanden uns prima und feierten tolle Partys im Büro. Bloß, irgendwann fingen wir an herumzusitzen, weil die Aufträge wegbrachen. Und dann mussten die ersten Leute gehen. Den Chefs war das ziemlich peinlich, weil wir uns ja alle duzten und befreundet waren, aber was sollten sie machen. Weil ich schon verhältnismäßig lange da war, musste ich nicht gleich gehen, und außerdem hatte ich mit einem der Chefs mal auf einer After-Work-Party ziemlich wild herumgeknutscht. Aber irgendwann machte die Agentur ganz zu und die Leute verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Und das war’s dann. Und nun hatte ich von einem Tag auf den anderen plötzlich ganz, ganz viel Zeit.
    Das Telefon riss mich aus meinen trüben Gedanken. Es war Dande Dorle.
    »Mädle, i han dr bloß sage welle, dass i an de denk ond jeden Dag dr Herr Jesus drom bitt, dass du a neie Arbeit fendsch.«
    Ich schluckte. »Das ist sehr lieb von dir, Tante Dorle.«
    »Ond stell dr vor, dai ehemalige Schulkamerade Katrin kriegt Zwilling. Die hen jetzt baut, draußa em Neibaugebied.«
    So ging es noch eine ganze Weile weiter, und ich hörte nur noch mit einem Ohr zu, was Dorle erzählte, nämlich dass der Obst- und Gartenbauverein beim bunten Abend den schwäbischen Schwank »Mai Schdickle ghert mir« aufführen würde, und sie, Dorle, die Rolle der unbeugsamen Kleingartenbesitzerin Rosemarie übernommen hatte. Sie kämpfte gegen einen korrupten Bauunternehmer, dargestellt von ihrem Schulkameraden Karle, der ein ganz Fieser war, weil er versuchte, den Gemeinderat zu bestechen, damit er der Umwandlung einer kompletten Schrebergartenkolonie in Bauerwartungsland zustimmte und so weiter und so fort, wie gesagt, ich hörte nur noch mit einem Ohr zu.
    Ich wunderte mich zwar ein wenig, dass Dorle auf ihre alten Tage mit dem Theaterspielen begonnen hatte, sie war aber immer für eine Überraschung gut. »Ond ibrigens komm i bald amol zu dir zom Kaffee. Mai Gertrud hot a Schlägle 2 ghett ond liegt em Kathrinehoschbidal. Die däd i en de nägschde Däg bsuche on no komm i glei bei dir vorbei.« Damit hatte sie sofort wieder meine ganze Aufmerksamkeit. Ich legte mit gemischten Gefühlen auf. Natürlich war es lieb von Dorle, an mich zu denken – meine Eltern hatten sich nicht gemeldet –, aber ein Besuch von Dorle hieß Aufräumen und Kuchen backen, nicht gerade meine großen Stärken. Und außerdem wusste jetzt auch der Herr Jesus, dass ich arbeitslos war.
    Dorle war die Tante meines Vaters, also unsere Großtante, und sie wurde auch von Leuten, die nicht mit ihr verwandt waren, nur Dande Dorle genannt. Sie wohnte im Dorf eine Straße weiter in einem kleinen, mit wildem Wein bewachsenen Hutzelhäuschen, vor dem eine Bank stand, auf der sie an lauen Sommerabenden saß. Aber nur an Samstagen, denn unter der Woche musste sie ja schaffen.
    Sie trug ihre Haare zu einem Knoten aufgesteckt und sah, seit ich denken konnte, aus wie hundert Jahre alt. Ihr rundlicher Körper steckte meistens in einer Kittelschürze. Dande Dorle war weich und roch immer nach Essen – nach frisch gebackenem Hefekranz oder Zwetschgenkuchen oder handgeschabten Spätzle. Meine Schwester Katharina und ich verbrachten als Kinder sehr viel Zeit bei ihr. Sie legte ihre fleischigen Arme um uns, wenn wir bei ihr auf der Bank saßen, sie gab uns feuchte Küsse und drückte uns an ihren riesigen Busen, sie machte uns Flädlesuppe und sang mit uns Lieder aus dem Gesangbuch, denn Dande Dorle war sehr chrischdlich. Wir durften ihr zusehen, wie sie abends die Nadeln aus dem Knoten zog und das lange weiße Haar bürstete, das ihr in schweren Wellen auf die Schultern fiel. Aber das Beste an Dande Dorle war ihr Käsekuchen, der leckerste Käsekuchen der Welt, den sie nach einem Rezept backte, das sie niemandem verriet, und das Bild ihres Verlobten. Es stand in ihrem karg eingerichteten, immer viel zu kalten Schlafzimmer auf dem Nachttisch und zeigte einen jungen, schnauzbärtigen
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