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Laugenweckle zum Frühstück

Laugenweckle zum Frühstück

Titel: Laugenweckle zum Frühstück
Autoren: E Kabatek
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Tag. Wenn wir sie sehen wollten, mussten wir anklopfen und sie im Bügelzimmer besuchen. Sie kochte auch nicht und kam nur selten zu den Mahlzeiten herunter. Wenn wir sie fragten, wovon sie sich eigentlich ernährte, zuckte sie nur die Schultern und lächelte.
    Katharina und ich gewöhnten uns daran, Schulprobleme, Freundinnenzoff und Liebeskummer miteinander zu teilen, das Haus vor der absoluten Verwahrlosung zu bewahren und uns mittags nach der Schule etwas zu essen zu machen. Wobei man gerechterweise sagen muss: Es war vor allem Katharina, die sich um den Haushalt kümmerte, auch wenn sie eineinhalb Jahre jünger war als ich. Das Katastrophen-Gen, mein kleiner genetischer Defekt, ließ Staubsauger explodieren, Rasenmäher letzte Seufzer von sich geben und Waschmaschinenschläuche platzen. Unschuldig aussehende Lebensmittel, die ich zum Kochen oder Backen verwendete, kochten über, wurden nicht gar oder brannten an, während sie sich unter Katharinas Händen in duftende Speisen verwandelten. Nachdem uns meine Mutter die Sache mit dem Katastrophen-Gen erklärt hatte, machte Katharina den Haushalt und ich leistete ihr dabei Gesellschaft. Die gleichen Geräte, die bei mir explodierten, verhielten sich bei ihr vollkommen friedlich.
    Trotz ihrer Absonderlichkeiten liebten wir unsere Mutter abgöttisch. Sie war schließlich tausendmal besser als die schwäbischen Supermütter unser Schulkameraden, die einem samstags Kutterschaufel und Kehrwisch in die Hand drückten. Sie war immer verfügbar, auch wenn sie meistens leicht abwesend wirkte, wenn wir ihr etwas erzählten, und sie brachte uns bei, wie wichtig es war, den schönen Dingen im Leben einen Platz einzuräumen:
    »Wenn ihr euch verliebt, achtet darauf, dass der Mann eine Ader hat für Bücher und Musik. Wenn nicht, vergesst ihn sofort.«
    Bevor Olga sich im Bügelzimmer eingerichtet hatte, war sie mit uns Kindern ab und zu mit der Straßenbahn nach Stuttgart gefahren, um in die Oper zu gehen. Wir liebten die festlichwürdevolle Atmosphäre, die Kristallleuchter, das Orchester im Bühnengraben und die Dramen, die sich auf der Bühne abspielten, auch wenn wir nicht verstanden, warum dort ziemlich viele Menschen sterben mussten, nachdem sie den nahenden Tod in endlosen Arien angekündigt hatten.
    Das mit den Büchern und der Musik war die einzige Lebensweisheit, die uns Olga mit auf den Weg gab, und fast schien es so, als wollte sie uns durch die Blume sagen, dass sie mit meinem Vater die falsche Wahl getroffen hatte.
    Unser Vater liebte Olga, war aber hoffnungslos überfordert von ihrer Leidenschaft für die Literatur und die Oper, weil er von beidem nichts verstand. Nach der Rückkehr aus Russland war er zu Bosch in die Forschung gegangen, und seltsamerweise schienen die Arbeitstage dort immer länger zu werden, je älter er wurde. Wenn er nach Hause kam, verschwand er ziemlich schnell wieder im Garten, weil einer ja das Gemüse anbauen musste, oder werkelte irgendwo am Haus herum. Ab und zu wurde er von Dorle herbeizitiert, die unsere Familienverhältnisse dann doch nicht ganz allein dem Herrn Jesus überlassen wollte. Sie war sonst immer die Ruhe und Liebenswürdigkeit in Person, aber in diesen Momenten fing sie laut an zu zetern. Mein Vater, so warf sie ihm vor, würde zu viel arbeiten, wir Kinder bekämen kein vernünftiges Essen und keine geistige Nahrung, so dass er sich nicht wundern müsste, wenn wir anstelle des schmalen, steilen Pfads zum Himmelreich den breiten, bequemen Weg zur Hölle wählen würden, und Olga ...
    Wir versteckten uns unter dem Fenster, um den Attacken zu lauschen. Ein, zwei Wochen lang kam Vater dann früher nach Hause, wollte unsere Hausaufgaben sehen und wissen, wie es uns in der Schule ergangen war, und wechselte sogar ab und zu mal wieder ein paar Worte mit Olga. Dann war alles wieder wie vorher.
    Ich seufzte. Olgas Lebensweisheiten hatten bisher nicht so richtig gefruchtet. Ich war einunddreißig, arbeitslos und ohne Mann, der Bücher und Opern liebte. Im Studium war ich ein paar Jahre mit Daniel zusammengewesen. Daniel war auch Germanist. Wir träumten von einer gemeinsamen Zukunft bei der
Zeit
oder beim Goethe-Institut. Eines Tages überraschte ich Daniel spärlich bekleidet in der Bibliothek bei den Mittelhochdeutsch-Regalen, zusammen mit der jungen neuen Professorin, die gerade einen Assistenten suchte. Daniel bekam den Job.
    Nun reichte es aber. Für heute hatte ich genug über der Vergangenheit gebrütet. Ich schickte eine
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