Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Laugenweckle zum Frühstück

Laugenweckle zum Frühstück

Titel: Laugenweckle zum Frühstück
Autoren: E Kabatek
Vom Netzwerk:
um diesen Kern möglichst geheim zu halten, so dass Olga kurz davor war, ihn samt Pipeline entnervt auf den Mond zu schießen.
    Irgendwann half sie mit russischem Wodka nach Dienstschluss nach, und endlich kam es, wie es kommen musste in den bitterkalten sibirischen Nächten. Mein Vater hatte sich bis dahin vermutlich als trinkfest bezeichnet. Er trank zu Hause regelmäßig sein Feierabend-Dinkelacker, ein paar Viertele in geselliger Runde und nach dem Sonntagsbraten bei Muttern selbst gebrannten Zwetschgenschnaps. Am Morgen nach der Wodkaorgie schloss er allein aus der Tatsache, dass sein großer Schädel brummte und eine sanft schlummernde, ziemlich pelzmantellose Olga neben ihm auf den Kissen lag, dass irgendetwas passiert sein musste. Erinnern konnte er sich an nichts.
    Passiert war in der Tat etwas. Ich wurde neun Monate später geboren, noch ehe die Pipeline in Betrieb genommen worden war. Es passierte jedoch noch mehr. Der Tag, den mein Vater übel gelaunt mit einem Brummschädel begonnen hatte, sollte ein Katastrophentag werden, der in die Geschichte des Pipeline-Baus einging. Ein Lastwagen, der dringend benötigte Teile geladen hatte, blieb im Schneesturm stecken, im Tanklager flog ein Tank in die Luft, und eine der Spezialmaschinen, die den Graben aushoben, in den die Pipeline verlegt werden sollte, rutschte einen Hang hinunter. Die Maschine erlitt einen Totalschaden. Wie durch ein Wunder wurde niemand bei diesen Vorfällen verletzt.
    Mein Vater bemühte sich mit sehr viel Feingefühl, die schlechte Stimmung zu heben, indem er jeden zusammenbrüllte, der ihm vor die Nase kam. Als die komplette Mannschaft abends erschöpft zum Essenfassen in der Baracke antrat, hatte die Köchin, deren fabelhafte Kochkünste bis dahin die Moral der Truppe immer wieder aufgerichtet hatte, den Eintopf so versalzen, dass er ungenießbar war.
    Es sollte Jahre dauern, bis es meiner Mutter dämmerte, dass zwischen meiner Zeugung und dem Katastrophentag ein Zusammenhang bestand.
    Die Kälte setzte meinen gedanklichen Ausflügen in die Vergangenheit ein Ende. Mein Schlafzimmer verfügte zwar über eine großartige Aussicht über den Stuttgarter Westen bis hinunter ins Zentrum und an guten Tagen bis fast nach Heilbronn, aber nicht über eine Heizung. Die hätte ich an diesem bitterkalten Februartag gut gebrauchen können.
    Ich überlegte, ob ich den Tag mit fünf Runden »Gruß an die Sonne« aus dem VHS-Yogakurs beginnen sollte, um warm zu werden. Bei meinem letzten Versuch hatte ich mir dabei einen steifen Hals geholt, also stellte ich mich stattdessen unter die heiße Dusche und drehte das Wasser am Ende auf kalt, aber erst, nachdem ich reichlich Abstand vom Duschstrahl hatte. Dann joggte ich meine fünf Stockwerke hinunter, um mir beim Bäcker um die Ecke ein Laugen zu holen. Wie üblich musste ich mich zwischen den Autos durchschlängeln, die auf dem Gehweg geparkt waren. Im dichtestbesiedelten Stadtteil Deutschlands gab es zu viele Menschen mit zu vielen Autos, und die Menschen hatten keine Lust, eine Tiefgarage zu bezahlen. Man hatte hier deshalb besser keine Kinder. Mit einem Kinderwagen wurde der zugeparkte Gehweg zum Hindernisparcours. Trotzdem wollte jeder im Westen wohnen, inmitten der kleinen Galerien, kreativen Künstler, Bioläden und Szene-Kneipen. Ich hatte richtig Glück, als ich die unrenovierte Wohnung mit verseuchtem Linoleum in der Reinsburgstraße bekam. Die Miete war günstig, weil vermutlich nicht allzu viele Leute mit einem Gas-Einzelofen im Wohnzimmer und keinem Gas-Einzelofen im Schlafzimmer im fünften Stock ohne Aufzug wohnen wollten. Der Vorteil war, dass man den Durchgangsverkehr, der vor allem aus Lkws und Bussen bestand, nicht ganz so laut hörte, und die Abgase schafften es maximal bis zum vierten Stock, da war ich ganz sicher.
    Auf dem Rückweg kletterte ich so leise ich konnte die Treppenstufen hinauf. Ich hatte keine Lust, mich den neugierigen Fragen von Herrn Tellerle zu stellen. Er war eine furchtbare Klatschbase, frühpensioniert, folglich immer zu Hause, und er hatte definitiv den schwarzen Kehrwochen-Gürtel. 1 Ich nicht, was manchmal zu unüberbrückbaren Differenzen führte. Als ich den dritten Stock erreicht hatte, wurde die Tür aufgerissen. Vor mir stand Herr Tellerle in einer ausgebeulten Cordhose, die von Hosenträgern gehalten wurde. Das farblich an Loriot erinnernde Hemd (graugrünbraun) hatte es nicht ganz in die Hose geschafft. »Grieß Gott, Frau Praetorius. Hen Sie heit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher