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Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Titel: Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Autoren: Stefan Fröhling & Andreas Reuß
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Stockwerke: Der untere Bereich barg neben den alten offenen Wandschränken mit ihrem dunkelbraunen Holzfarbton und ihren schweifenden barocken Formen eine Reihe quer eingestellter metallener Zusatzregale mit der erweiterten Präsenzbibliothek. Die hier vorhandenen großen Lexika-Reihen, zum Beispiel die berühmte «Theologische Realenzyklopädie», mochte Laubmann besonders. Zwischen den Regalen standen Tische für Studenten und Doktoranden, die im Bibliothekssaal arbeiten wollten. Trotz der neuen Regale und Arbeitstische hatte der Saal seinen ursprünglichen Charakter als Bibliothek des ehemaligen Jesuitenklosters gewahrt.
    Die Galerie mit ihrem schwarz gefaßten Metallgeländer verlief rundherum und ließ den Saal erst so richtig zur klassischen Bibliothek werden. Sie ermöglichte den Zugang zu Buch- und Zeitschriftenreihen, die sich in aufwendig geschnitzten Regalen befanden. An manchen Stellen waren die Regale und das Geländer mit Gemälden von wichtigen Theologen und von Kirchenfürsten der Universitätsgeschichte geschmückt, die meist ernst oder gelehrtausdruckslos auf den Betrachter herabblickten. Die schluchzende Studentin vor Augen, stieg Laubmann die Wendeltreppe zur Galerie hinauf. Sie knarzte bei jedem Schritt, denn es handelte sich um eine teilweise bewegliche Treppe, die mit einer überdimensionierten Schranktür verbunden war. Rechts und links des Bibliotheksportals waren solche «Schränke» mit eingebauten Wendeltreppen zu finden, die im unteren Teil «herausfuhren», wenn man die Treppentür öffnete.
    Als er oben auf der Galerie angelangt war, sah er bald hinter einem mit Büchern beladenen, fahrbaren Aktenständer Beine hervorschauen, halb ausgestreckt, halb angezogen. Philipp Laubmann wußte sofort, daß das Weinen von diesem Menschen kam, der sich dort verkrochen hatte. Und er brauchte nur dessen graue Haare, dünne Gestalt und seine dunkle Kleidung zu sehen, um zu erkennen, daß es keine Studentin, sondern Professor Erich Konrad war. Er saß einfach auf dem Boden und hörte nicht auf zu weinen, auch dann noch nicht, als Dr. Philipp Laubmann direkt neben ihm stand. Hatte Konrad ihn nicht längst wahrgenommen? Er konnte ihn eigentlich nicht übersehen oder überhört haben. Denn kurz nachdem Laubmann die schwere Tür aus Versehen zugeschlagen hatte, war ja das Schluchzen zumindest für einige Augenblicke unterbrochen. Und auch das Hinaufsteigen über die Schranktreppe war im stillen Bibliothekssaal gewiß deutlich vernehmbar gewesen.
    Erich Konrad hielt seinen Schmerz einfach nicht mehr aus, konnte ihn nicht mehr in seinem Gehirn einschließen. Manche Menschen können den seelischen Schmerz verbeißen, ihn in sich hineinfressen, statt ihn nach außen deutlich werden zu lassen. Konrad gehörte im Grunde zu diesen Menschen. So war es ihm anerzogen worden, und so hatte er es im Laufe der Jahre verinnerlicht, denn für einen Theologieprofessor und Priester war es selbstverständlich, immer Haltung zu bewahren. Doch jetzt sah er keinerlei Sinn mehr in der Verheimlichung seines Schmerzes; es fiel ihm derzeit überhaupt schwer, noch irgendeinen Sinn seiner Existenz auszumachen.
    Laubmann kam gerade richtig. Bei ihm konnte er damit rechnen, nicht von oben herab behandelt zu werden. Er würde sich mit dem Schmerz eines weinenden Kollegen beschäftigen, würde einfühlsam darauf eingehen. Und das tat er auch. «Kann ich Ihnen helfen?» sprach Laubmann ihn an.
    «Mir kann jetzt niemand mehr helfen. Eine Tote kann man nicht mehr zum Leben erwecken.»
    «Eine Tote?» Philipp Laubmann ignorierte das Selbstmitleid des Professors: «Ist es jemand, der Ihnen sehr nahestand?»
    «Sie war mir der liebste Mensch auf der Welt!» Konrad heulte beinahe sentimental auf. Die beiden Männer schwiegen ein paar Sekunden. Professor Konrad war froh, daß der Theologe Laubmann ihm nicht mit irgendwelchen oberflächlichen Beileidsformeln kam, die nicht das geringste mit seinem tiefen Gefühl zu tun haben konnten. «Ich glaube, es hilft mir, wenn Sie mich einfach reden lassen.» Konrad war Dr. Laubmann nun wirklich dankbar. «Erzählen Sie ruhig.»
    Konrad wartete einen Moment. «Franziska war mir der liebste Mensch. Und ich hab sie verloren …», er stockte, «weil man sie umgebracht hat.»
    «Umgebracht?» Laubmann hielt sich mit der Hand an einer Regalecke fest, denn er hatte sich weit nach vorn gebeugt – erstaunt und überrascht von der Behauptung des Professors.
    «Ja, Sie haben richtig gehört, Franziska Ruhland wurde
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