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Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Titel: Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Autoren: Stefan Fröhling & Andreas Reuß
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Anstrich eines Dienstgeschäftes zu geben; denn niemand sollte den Eindruck haben, seine Studien seien nur eine Art Steckenpferd. Soviel Spaß machten sie ihm nun auch wieder nicht. Immerhin hatte er nach langem Zögern und schon vor geraumer Zeit mit seinem Professor einen vorläufigen Titel für seine Habilitationsschrift vereinbart: «Die Unmöglichkeit finaler Antworten auf moralische Probleme». Ein «unendliches» Thema. Wie gewohnt hielt er Karteikarten bereit, denn er schwor auf sein persönliches Karteisystem, auch wenn es in vielen Fällen nicht die Systematik aufwies, die ihm selbst nötig erschien. Dennoch bereitete es ihm Freude, sich wichtige Begriffe, Gedanken, Zitate oder Bücher handschriftlich notieren zu können, selbst wenn sie nicht direkt seine Habilitation berührten.
    Schließlich hatte er Vorbilder. Er dachte an Arno Schmidt und dessen unendlich ausufernde Notizen, an Gerhart Hauptmann mit seinen Kalendern und den nächtens hingeschriebenen Einfällen auf der Schlafzimmertapete. Jean Paul, dessen Bücher Laubmann so liebte, hat seine humoristische Erzählung über das «Leben des Quintus Fixlein» in «fünfzehn Zettelkästen» eingeteilt, wie die Kapitel lauten, ja er läßt seinen Fixlein sogar eine Druckfehler-Sammlung besitzen.
    Und nicht zuletzt berief sich Philipp Laubmann auf den Soziologen Niklas Luhmann und dessen grundlegenden, kongenialen Aufsatz über die «Kommunikation mit Zettelkästen»: der Zettelkasten als Kommunikationspartner, offen angelegt oder spezialisiert, als Zweitgedächtnis oder Alter ego des Autors, als Ordnungs- und Zufallsprinzip in einem. Das Versickern der Notizen und das überraschende Wiederfinden des lange schon Vergessenen waren zwei Seiten ein und derselben Medaille.
    Auch Laubmann «verzettelte» sich auf zweierlei Weise. Neben seinen Karteikästen, in denen er seine wissenschaftlich brauchbaren Karteikarten aufbewahrte, hatte er eine kleine Truhe, in die er andere Zettel und Karteikarten mit ausgefalleneren Ideen, seltenen Wörtern und treffenden Zitaten hineinwarf. Manchmal griff er wie bei einer Lotterie blind hinein, zog einen der Zettel heraus und ergötzte sich an dem, was er dann las.
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    Dr. Philipp Laubmann näherte sich dem Eingangsbereich der theologischen Bibliothek. Die Kopierautomaten waren bereits abgeschaltet. Studenten waren kurz vor Schließung der Bibliothek nur selten dort anzutreffen. Laubmann öffnete die große, doppelflügelige Tür und freute sich, daß er sogleich auf die Bibliotheks-Sekretärin Sibylle Schmidt traf, die noch Dienst hatte. Sie war klein und wirkte trotz ihrer 29 Jahre schon etwas älter; die Art, wie ihre glatten blonden Haare sorgfältig nach innen gefönt waren, ließ ihn an die bezaubernd-harmlose Doris Day denken. Außer ihren hellen Augen mochte Philipp Laubmann an Sibylle Schmidt ganz speziell ihre Nähe zu Büchern. Doch er fühlte sich ihr gegenüber immer ein wenig verlegen.
    Die Bibliotheksangestellte grüßte ihn zwar höflich, kümmerte sich aber nicht weiter um ihn. Aus diesem Grund entschied er sich, den im Vorraum stehenden Zeitschriftenstand unbeachtet zu lassen und gleich in den Großen Saal zu gehen. Dabei bewegte er sich so, als dürfe er keinerlei Geräusch verursachen, was bei dem historischen Holzboden und angesichts seines stattlichen Körpergewichts gar nicht so einfach war.
    Laubmann drückte den Türgriff, der aus Messing und Holz bestand, herunter und trat in den Bibliothekssaal. Er hatte noch kaum einen Blick in den Saal geworfen, da erschreckte ihn ein Geräusch. Zwar hatte er die Tür ungeschickt ins Schloß fallen lassen, aber das war es nicht, auch kein Nachhall davon, sondern ein Schluchzen! Ein relativ lautes, auf stöhnendes Schluchzen, und das an einem Ort, an dem es so etwas eigentlich nicht geben durfte. Ihm schauderte im ersten Augenblick ein bißchen, konnte Laubmann sich die Herkunft dieses Geräusches doch nicht auf Anhieb erklären. Außerdem war es für einige Sekunden nun wieder ganz still im Saal. Dann hörte er erneut ein heftiges Weinen: Ganz in der Nähe gab es einen Menschen, der verzweifelt war. Philipp Laubmann hielt den Atem an. Seine scharfe Beobachtungsgabe forderte ihr Recht. Das Weinen ließ bald nach, nur ein verhaltenes Seufzen war bisweilen noch zu vernehmen. Philipp lokalisierte es in der oberen Etage, der Galerie der Bibliothek. Insgeheim sah er eine hübsche weinende Studentin vor sich.
    Der barocke Bibliothekssaal erstreckte sich über zwei
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