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Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Titel: Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Autoren: Stefan Fröhling & Andreas Reuß
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darüber im klaren,daß seine Aussage die Angelegenheit nicht vereinfachen würde. Auf der Straße hatte sich mittlerweile einiges getan. Rettungsfahrzeuge standen bereit, Hilfskräfte waren im Einsatz, der Verkehr mußte umgeleitet werden, auch wenn er spärlich war, und etliche Zuschauer hatten sich eingefunden. Nur von der Parkseite her blieb es merkwürdig ruhig; niemand war dort unterwegs.
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    Wenn Philipp Laubmann über sein Leben nachdachte, beschlich ihn häufig ein Gefühl der Unzufriedenheit, weil ihm noch viel zuviel ungeklärt erschien. Das ging ihm auch mit Gott nicht anders, denn der war ihm entschieden zu fern, zu unnahbar. Als Theologe war er ein «von Gott Redender», in seiner fachlich-wissenschaftlichen Ausrichtung als Moraltheologe hingegen sprach er meist über Menschen, über ihr Schuldigwerden, ihre Schwächen. Das wissenschaftliche Sprechen über Gott war freilich genauso nur ein Reden über Menschen, nämlich über ihre Vorstellungen von Gott und über ihre religiösen Erfahrungen. Allerdings, so glaubte er zu beobachten, ging es für viele Menschen außerhalb der Theologie oder der Kirche, der Religion, gar nicht mehr darum, Antworten zu entdecken, sondern darum, überhaupt noch Begriffe zu haben, um religiöse Gedanken formulieren und Fragen nach Gott stellen zu können. Ihre Sprachlosigkeit machte ihm zu schaffen. Dr. Philipp Erasmus Laubmann war Assistent an der katholisch-theologischen Fakultät der staatlichen Universität Bambergs und gehörte dem Lehrstuhl für Moraltheologie an, den sein Vorgesetzter, Professor Dr. Raimund Hanauer, seit mehr als zehn Jahren innehatte. Er war zwar seit etlichen Jahren promoviert, aber trotz seiner 39 Jahre noch nicht habilitiert.
    Laubmann war nicht hochgewachsen, knapp 1,75, und ein wenig dicklich, was er lieber «leib-haftig» nannte. Sein Kopf schien verhältnismäßig groß, wobei der Eindruck durch seine hohe Stirn hervorgerufen wurde. Die dunkel blonden glatten Haare waren schütter, seine Lippen waren eher schmal, die Nase ging ein bißchen in die Breite. Am auffälligsten an ihm war der neugierige Blick hinter der randlosen Brille, der so entlarvend wirken konnte. Das liebten manche an ihm nicht. Weil er aber gelegentlich auch unsicher war, außerdem bekannt für nicht immer auf Anhieb verständliche Wortwitze, erschien er vielen doch recht sympathisch und war nicht zuletzt seines Wissens wegen bei Kollegen und Studenten geschätzt.
    Laubmann war zwar Theologe, aber kein Priester. Als theologisch Denkender fühlte er sich hauptsächlich der Wissenschaft verpflichtet. Dennoch war er der kirchlichen Institution nicht gänzlich abgeneigt, obwohl er letztlich nicht in der Kirche, sondern im Leben Gott suchte. Jedenfalls hatte er die Möglichkeit, den Weg des katholischen und damit zölibatär lebenden Priesters zu beschreiten, für sich noch nicht endgültig verneint; aber er reagierte schnell gereizt, wenn ihn jemand darauf ansprach. Er kam in dieser Frage mit sich nicht zurecht. Denn eine, im christlichen Sinne, von Gott bewirkte Berufung spürte er nicht so richtig, wollte sie aber zukünftig nicht völlig ausschließen. In vollkommener Keuschheit hatte Philipp in den vergangenen Jahrzehnten allerdings nicht gelebt.
    Daß Philipp Laubmann auch kriminalistisch begabt war, zumal er sich als Moraltheologe um das Böse zu kümmern hatte, ahnten die wenigsten. Von dem Todesfall nahe bei St. Vitus, seiner Lieblingskirche, hatte er noch nichts mitbekommen.
II
    Am Abend ging Dr. Philipp Laubmann durch den altehrwürdigen Teil der Universität, durch die Theologische Fakultät. Es war der zweite Abend nach dem Unfall. Doch Laubmann wußte noch immer nichts davon, was diesmal freilich nicht seiner gelegentlich auftretenden Weltfremdheit zuzuschreiben war, sondern dem Umstand, daß er den größten Teil des Tages ein wenig kränkelnd zu Hause verbracht hatte. Er sah sich unschlüssig um, putzte seine Brille und schaute nur beiläufig durch die altertümlich verzierten Fenster auf den gartenähnlichen Innenhof, der im graublauen Abendlicht kaum mehr zu erkennen war. Die Äste eines seltenen Schwarznußbaumes überragten das erste Obergeschoß, in dem sich Laubmann aufhielt, bei weitem, warfen jedoch keine Schatten mehr, sondern waren selber nur noch Schattengebilde. Die Gänge waren nur spärlich beleuchtet.
    Sein Ziel war die Bibliothek. Dort wollte er wie so oft die Neuerscheinungen «kontrollieren», wie er sich ausdrückte, um seiner Tätigkeit den
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