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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein
Autoren: Friederike Schmöe
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nahm einen Lebkuchenstern aus der mit Engeln verzierten Weihnachtsdose in der Diele und steckte ihn in die rechte Manteltasche. Nur für den Fall, dass der Unterzucker ihn wieder überraschte. Er geriet schnell in die Situation, unverzüglich etwas Süßes zu brauchen.
    Die Tüte mit seinen Lebkuchensternen lag im obersten Fach der Garderobe. Heidelore kam dort nicht ran, kurz, wie sie war. Wurden im Haus Leitern benötigt, rief sie nach Arndt. Sie war nicht schwindelfrei. Auf diese Weise hatte Arndt die Rückversicherung, dass sie diese spezielle Ration Lebkuchen nie entdecken würde. Ohnehin würde er sein Projekt bald abschließen können. Er hatte den Boxclub auf dem Kieker und er wusste, dass dort etwas Illegales lief. Alles Weitere war nur eine Sache der Geduld und des Durchhaltevermögens.
    Arndt Engstler trat vor die Tür und atmete ein paarmal tief durch. Die eisige Luft erfrischte ihn. Obwohl er schnell zu frösteln begann, hielt er sich mit dem Gedanken bei Laune, dass naturnahes Leben genau den richtigen, eben naturgegebenen Umgang mit den Jahreszeiten erforderte. Es brachte wenig, dem Winter zu entfliehen. Entweder man lebte stets in südlichen Gefilden oder man hielt einfach durch. Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin waren seiner Erfahrung nach aber nicht die Stärken seiner Mitmenschen. Seine dagegen schon. Das verschaffte ihm manchen Vorteil.
    Arndt Engstler schritt den Oberen Kaulberg hinunter. Er hielt sich hundertprozent gerade. Mit 69 legte er Wert auf Sportlichkeit und die richtige Einstellung der Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers gegenüber. Er mochte das Viertel. Sonntags ging er regelmäßig in der Karmelitenkirche zur Messe. Er kaufte seine Zeitung in dem kleinen Laden, dessen Besitzer er seit Jahr und Tag kannte, und trank auch mal ein abendliches Bier im Greifenklau. Aber der Umbau des alten Boxclubs war ihm seit Monaten ein Dorn im Auge. Allerdings gab es in der Nachbarschaft noch einige andere Störenfriede. Nora Molitor schien ihm da vergleichsweise harmlos. Doch man wusste bei Leuten wie ihr nie. Sie gab sich so überzeugt unkonventionell. In seiner Zeit als Richter hatte er gelernt: Wer die Konventionen auf den Kopf stellte, war potenziell gefährlich; der Betreffende würde irgendwann das Steuer zu weit herumreißen. Arndt Engstler wusste, wie man Leute wie Nora und das gesamte Umfeld des Boxclubs einzuschätzen hatte. Allein schon dieser Harun Findeisen mit seinem Pseudomusikalienhandel und dem Wasserpfeifenversand!
    »Gesockse«, murmelte er in die eiskalte Dunkelheit. Sein Atem war so warm, dass seine Brillengläser beschlugen. So. Jetzt war es heraus. Er sagte es nicht gern laut, denn die Welt brauste schnell auf. Er mochte es nicht, wenn man ihn missverstand.
    Aber recht hatte er doch.
     
    17 Uhr 30
    Katinka drückte sich an der Hauswand entlang bis zur nächsten Ecke. Ihr war bisher nicht klar gewesen, wie weitläufig die Bamberger Hinterhöfe sein konnten: Außer der riesigen Scheune, die dem Haus genau gegenüber stand und es deutlich überragte, gab es noch ein langgestrecktes, barackenartiges Bauwerk auf der linken Seite, das vollkommen entkernt schien: Wahrscheinlich wieder irgendein denkmalgeschütztes Gerümpel, dachte Katinka. Und niemand konnte es sich leisten, es zu renovieren. Die leeren Fensteraugen glotzten in den Hof hinaus. Von irgendwo bellte wütend ein Hund.
    Katinka presste sich an die Seite eines leeren Kaninchenstalles, der windschief neben der Regenrinne lehnte. Er bestand aus lauter einzelnen Käfigen, die wie Bauklötze nicht ganz bündig übereinandergesetzt und irgendwie befestigt worden waren. So konnte sie Walt beobachten, ohne dass er sie entdecken würde, selbst wenn er sich aufmerksam umsah. Von hier aus überblickte sie fast den ganzen Hof; nur die Tür zum Club, durch die sie Walt gefolgt war, und ein Teil der Baracken lagen im toten Winkel. Walt war an der Scheune entlang bis zum Durchgang zur Laurenzistraße gelaufen. Das Grundstück war von einer mannshohen Mauer umgeben. Nah bei der Scheune gab es ein schmales Tor, das vom Areal des Clubs weg wieder hinaus in die Stadt führte.
    Katinka überlegte, ob sie Walt folgen sollte, um ihn nicht zu verlieren, als er zurückkam und genau auf den Kaninchenstall zustapfte. Der Schnee hatte seine Spuren von vorhin schon zugedeckt, so wie er alles zudeckte. Ein Leichentuch für die Wirklichkeit. Das musste sie nachher Dante unterjubeln.
    Bei ihrem kurzen Erkundungsgang vor zwei Stunden
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