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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein
Autoren: Friederike Schmöe
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vor. »Verdammt, was treiben Sie hier?«
    »Ich brauch einen Absacker.«
    »Hier? In diesem…«, Katinka neigte den Kopf, »Etablissement?«
    »Ich wohne nicht weit. Finde es ganz schön hier. Nora ist auch eine echt nette Frau.«
    »Nicht Ihre Altersklasse.«
    »Nee. Eine halbe Generation älter. Vielleicht sogar anderthalb. Ich will sie ja nicht heiraten. Nur ab und zu einen Averna mit Eis trinken.« Er beugte sich vertraulich vor. »Sind Sie beruflich hier?«
    Katinka nickte knapp. Sie mochte Dante Wischnewski. Er war ein verlässlicher Typ mit dem untrüglichen Talent, in den belanglosesten Situationen das Neue, Andere und Komische aufzuspüren. Wahrscheinlich hatte er deshalb den Sprung vom Volontär zum Redaktionsmitglied geschafft. Auf einen wie ihn konnte man nicht verzichten, selbst wenn er – zugegeben – mitunter höllisch nervte.
    »Verstehe.« Er schälte sich aus seinem Anorak und warf Mütze und Handschuhe auf die Tischplatte. »Und Nora?«
    »Musste mal kurz weg.«
    Dante grinste listig. »O.k. Also, damit keine Langeweile aufkommt, wissen Sie, was neulich auf dem Weihnachtsmarkt los war? Ich wette, es ist an Ihnen vorbeigegangen. Sie lesen unsere Zeitung ja nicht so fleißig.«
    Katinka unterdrückte ein Stöhnen. »Schießen Sie schon los!«
    Walt Meier hockte immer noch da und starrte so ergeben auf den Bildschirm, auf dem gerade mehrere Eishockeyspieler in einem unförmigen Knäuel gegen die Banderole krachten, dass es ihr schwerfiel zu glauben, er sei hinter anderen Dingen her als hinter Ablenkung 24 Stunden vor Heiligabend.
    »Hören Sie zu?« Dante räusperte sich und setzte sich in Positur, um zu erzählen. »Ist wirklich passiert.« Er legte los:
     
    Haltet den Knecht
     
    Nach meiner sportlichen Karriere habe ich alle möglichen Jobs gemacht: Radkurierin, Club-Med-Animateurin, Entenfutterkontrolleurin. Als Nikolaus jedoch bin ich unschlagbar. Der Bart klebt perfekt, die Kapuze sitzt, und der weite rote Mantel kaschiert die weiblichen Rundungen meines Körpers. Ich bin zufrieden mit der Vermittlung durch die Bundesagentur. Im Dezember gibt es einfach die attraktivsten Jobs. Hier in dieser hübschen Pralinenschachtel des Coburger Marktplatzes muss ich nichts anderes tun, als nach Kindern Ausschau zu halten, mir Gedichte aufsagen zu lassen und Süßigkeiten zu verteilen.
    Ich stapfe durchs Gedränge. Zugegeben, der geistige Input lässt bei so einer Arbeit zu wünschen übrig. Vor der Buchhandlung spähe ich kurz auf das Titelblatt der Lokalzeitung, um wenigstens über die Nachrichtenlage Bescheid zu wissen: Juwelierladen Otto Weiß von zwei Maskierten ausgeraubt. Die Täterin ist eine Frau! So what, das Ausrufezeichen sagt alles.
    Ist das eine Hektik! Inzwischen wird den Leuten bewusst, dass sie immer noch nicht alle Geschenke beisammen haben, es ist schon der 6. Dezember, auch meine Liste ist noch nicht abgearbeitet. Prinz Albert lächelt von seinem Platz im Zentrum der Weihnachtsbuden entspannt in die Runde. Die Tauben sitzen ihm wie stets auf Kopf und Schultern, aber daran hat er sich schon längst gewöhnt.
    Allmählich frieren mir die Zehen ein. Meine Stiefel durchnässen im Schneematsch, da täte ein Humpen Glühwein gut. Komisch, warum geistert eigentlich ein Knecht Ruprecht über den Markt? Zwischen all den blinkenden Lichtern, den hin und her eilenden Menschen, den heruntergeleierten Versen und dem Gedudel aus den Lautsprechern komme ich ins Grübeln: Haben die vom Stadtmarketing nicht mir den Job gegeben? Da war nur von einem städtischen Nikolaus die Rede, und überhaupt: Was ist ein Knecht Ruprecht ohne seinen Bischof?
    Sei’s drum. Ich stelle mich beim Glühwein an. Als Nikolaus kommt man kaum zu einer Pause. Schon steht wieder ein Knirps da und knödelt ›Von drauß vom Walde‹. Hübsch macht er das, sackt seine Schokolade ein und stolziert davon wie ein Pfau. Abgekämpft bugsiere ich meinen Heidelbeerglühwein auf den nächstbesten Bistrotisch. Schnell umgeschaut, den Bart zur Seite gezupft und ein paar Schlucke getrunken. Verlockender Bratwurstgeruch weht herbei, aber die große Mahlzeit muss warten. Heute Abend nach Geschäftsschluss hätte ich Zeit auszugehen oder was Feines zu kochen. Schade nur, dass es nicht wirklich den Appetit anregt, wenn das Nachtprogramm anschließend nur aus mir selbst besteht.
    Neben mir hievt eine Frau eine gigantische braune Papiertüte auf den Bistrotisch. Sie sieht müde aus, wie die meisten, die noch nach Präsenten suchen, die auch die
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