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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein
Autoren: Friederike Schmöe
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Autobahnen und gestrichene Flüge zu lamentieren.
    Walt Meier rief etwas in die Dunkelheit, aber Katinka konnte ihn nicht verstehen. Die Windböen verschluckten alle Geräusche. Sie tastete sich an der Hausmauer entlang. Das weit nach außen gezogene Dach sorgte dafür, dass ein paar Handbreit Boden schneefrei blieben. Sie stellte Augen und Ohren auf Empfang. Walt funzelte mit seiner Lampe am anderen Ende des Innenhofes herum. Die Scheune dort drüben warf ihren schwarzen Schatten in den Hof. Katinka zog die Ballonmütze mit dem breiten Schirm tief ins Gesicht. Von fern erklang Hundegebell, das sich für Sekunden gegen den Sturm durchsetzte. Dann war alles still. Und dunkel. Walt hatte die Lampe ausgeschaltet. Nur von der Straße drang das gelbe Licht der Straßenlaterne herüber. Sie baumelte an einer Leitung über der Laurenzistraße und zauberte bizarre Schatten in den Hof.
     
    *
     
    Währenddessen diskutierte Nora immer noch mit ihrem Nachbarn. Für so dumm hätte sie ihn nicht gehalten. »Sparen an der falschen Stelle!«, schimpfte sie. »Hättest du die Heizung nicht ein bisschen weiter aufdrehen können? Oder hat die Kohle nicht gereicht?«
    Harun Findeisen rupfte an seinem zipfligen Bart, wie er es stets tat, wenn er nicht wusste, was er erwidern sollte. »Du hast, was du willst, und wenn die Preise steigen, ist das nicht mein Problem. Ich beobachte einfach den Markt.«
    Nora, erschöpft vom Umbau ihres Restaurants, von den Streitigkeiten mit den Nachbarn und all den vielen Dingen, die sie drumherum zu organisieren hatte, ließ sich in einen von Haruns Sitzsäcken fallen. Begierig sah sie auf die Wasserpfeife. Ihr Nachbar lächelte.
    »Ich überlege, ob ich die Tribüne nicht vielleicht zur Wasserpfeifen-Lounge umbaue.« Sie warf ihren Mantel neben sich auf den Boden.
    Haruns Grinsen wuchs in die Breite, während er die Shisha präparierte. Dabei zeigte er einen schwarzen Eckzahn, der aus seinem Gebiss vorzuspringen schien wie eine Loggia. »Gute Idee. Schmeiß die alten Sitze raus und lege Teppiche hin. Das macht’s gemütlich. Wird bestimmt gut angenommen.«
    »Ich sollte mich allmählich mal entscheiden, welchen Charakter der Club bekommen soll«, seufzte Nora. »Ständig neue Ideen. Das bringt mich ganz durcheinander.«
    »Die Leute lieben deinen Stil«, widersprache Harun. Er wies auf die knallbunte, flattrige Tunika, die sie über ihren Jeans trug. »Brauchst du auch noch Stoff für die Extraportion Lebkuchensterne?«
    Sie nahm ihm das Mundstück ab. »Warum nicht?«
    Harun lächelte noch breiter. Sie mochte den schwarzen Zahn irgendwie. Er gab Harun genau die Eigenschaft mit, die sie bei ihm spürte: Er war unnormal, er war eine Ratte, und er hatte das Talent, ihr das Gefühl zu vermitteln, dass alles machbar war. Kein Zweifel, Harun wurde von einer kosmischen Aura umgeben.
     
    17 Uhr 20
    Arndt Engstler hatte den Sammelband mit dem Titel ›Der Lebkuchenmörder‹ neben sich auf das Sofa gelegt. Seine Frau las derartige Unterhaltungsliteratur. Er persönlich hatte für derlei Lektüre nur Verachtung übrig. Sowohl für das Genre als auch für die Leute, die so was lasen. Genau. Er verachtete seine Frau. Irgendwie wurde sie mit den Jahren immer weniger formbar. Ein kurzer Blick in das Buch hatte seine Einstellung zum literarischen Geschmack der breiten Masse wieder einmal bestätigt.
    Er rieb sich die Augen. Heidelore rotierte in der Küche und hörte dazu das Surrogatgedudel von Bayern 1. Das Backen für die Verwandtenbesuche zu den Feiertagen war in vollem Gange. Er sollte einen letzten Kontrollgang für heute machen. Obwohl er seit Wochen auf der Pirsch war, hatte er immer noch keine näheren Anhaltspunkte. Das Wetter schien ihm genau richtig für eine kurze Erkundungstour.
    Er ging in die Diele, stellte seine ledernen Pantoffeln wie mit dem Lineal vermessen neben Heidelores Turnschuhe, schlüpfte in die Stiefel und rief in die Küche: »Heidelore, ich gehe nochmal um den Block.«
    Er wickelte den weinroten Burlington-Schal um seinen Hals, setzte die dazu passende Kappe auf und glitt mit genau der richtigen Drehbewegung in den schweren, mit Schafwolle gefütterten Ledermantel. Ob seine Frau ihn gehört hatte, wusste er nicht, und er hatte nicht die Absicht sich zu vergewissern. Er wäre ohnehin maximal nur eine halbe Stunde weg. Mit einem Ruck schob er den Ärmel zurück, um auf seine Armbanduhr zu sehen. Zwanzig nach fünf. Um sechs wollte er ein paar Telefonate erledigen. Nichts Besonderes. Er
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