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Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Titel: Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)
Autoren: Niccolò Ammaniti
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die Schrift darauf schwarz. Mehr als achtzig Prozent der Bücher waren blau! Er drängelte sich durch die letzten Grüppchen hindurch. Manche gaben ihm die Hand, andere klopften ihm brüderlich auf die Schulter, als käme er gerade aus dem Dschungelcamp zurück.
    Schließlich erreichte er den Rednertisch. Der indische Schriftsteller saß in der Mitte. Er ähnelte einer Schildkröte, der man den Panzer weggenommen, eine weiße Tunika übergeworfen und eine Brille mit schwarzem Gestell aufgesetzt hatte. Er hatte wässrige, weit auseinanderstehende Augen und ein entspanntes Gesicht. Eine Matte schwarzer, mit Brillantine nach hinten gestrichener Haare verhinderte, dass er aussah wie eine ägyptische Mumie. Als er Fabrizio sah, neigte der Inder leicht den Kopf und legte zum Zeichen des Grußes die Handflächen aneinander. Doch was Cibas Aufmerksamkeit fesselte, war das weibliche Wesen neben Sawhney. Um die dreißig. Gemischtes Blut. Halb indisch, halb kaukasisch. Sie hätte gut ein Model sein können, aber durch die kleine Brille auf der Stupsnase sah sie irgendwie auch ein bisschen nach Lehrerin aus. Ein chinesisches Essstäbchen mühte sich vergeblich, ihre langen Haare zu bändigen. Ein paar widerspenstige teerfarbene Strähnen hingen auf den schlanken Hals herunter. Der kleine, volle Mund, träge geöffnet, thronte wie eine reife Pflaume über ihrem spitzen Kinn. Sie trug eine weiße Leinenbluse, die gerade so weit offen stand, dass ein weder zu kleines noch zu üppiges Dekolleté ins rechte Licht gerückt wurde.
    Körbchengröße C, schätzte Fabrizio.
    Die bronzefarbenen Arme endeten in schmalen Handgelenken, an denen sie schwere Kupferarmbänder trug. Die Finger hingegen endeten in schwarz lackierten Nägeln. Als Fabrizio sich auf seinen Platz setzte, linste er unter den Tisch, um nachzuschauen, ob auch da alles in Ordnung war. Elegante Beine ragten unter einem schwarzen Rock hervor. Die schlanken Füße steckten in griechischen Sandalen, und die Fußnägel waren mit dem gleichen schwarzen Nagellack lackiert wie die Fingernägel. Wer war diese aus dem Olymp gefallene Göttin?
    Tremagli, der auf der linken Seite saß, schaute mit einem strengen Blick von seinen Papieren hoch. »Gut, nachdem Signor Ciba nun auch endlich da ist …« Er schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Ich glaube, wir können dann anfangen, vorausgesetzt, dass Sie einverstanden sind.«
    »Einverstanden.«
    Fabrizio ging der hochgeachtete Professor Tremagli, um es geradeheraus zu sagen, gehörig auf die Eier. Tremagli hatte ihn zwar nie verrissen, aber auch nie gelobt. Für Professor Tremagli existierte das Werk von Ciba ganz einfach nicht. Wenn er über den aktuellen, beklagenswerten Zustand der italienischen Literatur sprach, lobte er eine Reihe von Schreiberlingen, die nur er kannte und die sich freuen konnten, wenn sie tausendfünfhundert Exemplare verkauften. Fabrizio wurde nie erwähnt, keine Anspielung, kein Kommentar. Bis man ihn schließlich eines Tages beim Corriere della Sera direkt darauf angesprochen hatte: »Herr Professor, wie erklären Sie sich das Phänomen Ciba?«. Da hatte er geantwortet: »Wenn wir tatsächlich von einem Phänomen sprechen wollen, dann ist es ein vorübergehendes, wie einer dieser Stürme, die von den Meteorologen gefürchtet werden, dann aber vorbeiziehen, ohne Schaden anzurichten.« Und er hatte hinzugesetzt: »Aber ich habe ihn nicht aufmerksam gelesen.«
    Fabrizio hatte geschäumt wie ein tollwütiger Hund, war sofort an den Computer gestürzt, um für die erste Seite der Repubblica eine flammende Antwort zu schreiben. Doch als die Wut sich gelegt hatte, hatte er die Datei gelöscht.
    Denn die wichtigste Regel für jeden echten Schriftsteller lautet: Unter keinen Umständen, nicht einmal auf dem Sterbebett, nicht einmal unter Folter, auf Beleidigungen reagieren. Alle warten doch nur darauf, dass du in die Falle tappst und dich zu einer Antwort hinreißen lässt. Nein, du musst unnahbar sein und so weit weg wie Alpha Centauri.
    Am liebsten jedoch hätte er dem Alten vor dessen Haus aufgelauert, ihm seinen Scheißstock entrissen und damit auf seine Rübe eingeschlagen wie auf eine afrikanische Trommel. Das wäre ein Heidenspaß gewesen und hätte zudem seinen Ruf als poète maudit gefestigt, der auf literarische Beleidigungen mit den Fäusten reagiert wie ein echter Mann, und nicht mit giftigen Antworten auf Seite zwei des Feuilletons wie diese Scheißintellektuellen. Bloß dass der Alte schon siebzig
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