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Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Titel: Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)
Autoren: Niccolò Ammaniti
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beißen würde. Dann würde sich alles ändern. Serena war die einzige Tochter, und er, Saverio würde das Möbelhaus dann selbst leiten. Auch wenn ihm seit einiger Zeit langsam Zweifel daran kamen, ob der Alte überhaupt je sterben würde. Bei allem, was der schon hinter sich hatte. Sie hatten ihm die Milz herausgenommen, sie hatten ihm eine talgige Zyste aus dem Ohr entfernt, und um ein Haar wäre er taub geworden. Auf einem Auge hatte er den Grauen Star und konnte nichts mehr sehen. Im Alter von vierundsiebzig war er mit seinem Mercedes mit zweihundert Sachen auf einen Lastwagen geprallt, der an einer Agip-Tankstelle stand. Drei Wochen hatte er im Koma gelegen und war danach noch stinkiger als vorher. Dann hatten sie Darmkrebs bei ihm festgestellt, doch aufgrund seines Alters wollte sich der Tumor nicht ausbreiten. Und als würde das allein nicht genügen, war er bei der Taufe der Zwillinge auf der Kirchentreppe gestürzt und hatte sich das Becken gebrochen. Jetzt saß er im Rollstuhl, und es war Saverios Aufgabe, ihn morgens zur Arbeit und abends wieder nach Hause zu bringen.
    Das Handy klingelte und pulsierte immer noch in der Ablage neben der Gangschaltung.
    »Fick dich ins Knie«, knurrte er, doch das verdammte Schuldgefühl, das in seinen Chromosomen saß, sagte ihm, er müsse sich melden. »Papa?«
    »Mantos.«
    Das war nicht die Stimme des Alten. Und seinen Sektennamen kannte er auch nicht.
    »Mit wem spreche ich?«
    »Kurtz Minetti.«
    Als er den Namen des Obersten Priesters der Kinder der Apokalypse hörte, kniff Saverio Moneta ungläubig die Augen zu und riss sie wieder auf, mit der linken Hand umklammerte er das Steuer, mit der rechten das Handy, doch das Telefon flutschte ihm aus der Hand wie ein nasses Stück Seife und landete zwischen seinen Beinen. Um es aufzuheben, nahm er den Fuß von der Kupplung und würgte den Motor ab. Von hinten wurde gehupt, und Saverio schrie Kurtz zu: »Einen Moment … Ich sitze am Steuer. Einen Moment, ich muss an die Seite fahren!«
    Ein Motorradfahrer auf einem großen, dreirädrigen Scooter klopfte an sein Fenster. »Weißt du eigentlich, dass du ein Arschloch bist?«
    Endlich schaffte Saverio es, sein Handy aufzuheben. Er ließ den Motor wieder an und fuhr das Auto auf die Seite.
    Was wollte Kurz Minetti von ihm?

6 Kaum hatte Tremagli seinen Vortrag beendet, reckten sich die Leute auf den Stühlen, streckten ihre eingeschlafenen Beine und klopften sich gegenseitig anerkennend auf die Schulter, weil sie diese schwere Prüfung bestanden hatten. Einen Augenblick lang hoffte Fabrizio Ciba, der Professor habe die gesamte zur Verfügung stehende Zeit aufgebraucht und die Veranstaltung sei damit zu Ende.
    In Erwartung von Kommentaren blickte Tremagli zu Sawhney hinüber, doch der Inder lächelte nur und verneigte sich erneut zum Zeichen des Grußes. An diesem Punkt ging der Giftkelch an Fabrizio weiter. »Ich glaube, Sie sind an der Reihe.«
    »Danke.« Der junge Schriftsteller massierte sich den Nacken. »Ich werde nicht lange sprechen.« Dann wandte er sich ans Publikum: »Wie ich sehe, sind Sie ein wenig mitgenommen. Und ich weiß, dass da drüben ein ausgezeichnetes Buffet wartet.« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, verfluchte er sich dafür. Er hatte Tremagli öffentlich beleidigt, doch in den Augen der Zuhörer erkannte er ein zustimmendes Glitzern, das ihm recht gab.
    Er suchte nach einem Anfang, irgendeinem Knaller, mit dem er loslegen könnte. »Hm hm …« Er räusperte sich. Klopfte ans Mikrofon. Trank ein Glas Wasser, um seine Lippen zu befeuchten. Nichts. Sein Kopf war leer wie ein schwarzer Bildschirm, eine geplünderte Schatzkiste. Ein kaltes Universum ohne Sterne. Eine Kaviardose ohne Kaviar. Nur seinetwegen waren die Leute aus allen Teilen der Stadt hierhergekommen, hatten sich durch den Verkehr gekämpft, keinen Parkplatz gefunden, sich einen halben Tag freigenommen. Und er, er hatte ihnen nichts zu sagen. Er sah sich sein Publikum an. Das Publikum, das an seinen Lippen hing. Das Publikum, das sich fragte, worauf er wartete.
    Am Anfang war das Feuer.
    Ein flüchtiges Bild aus einem alten französischen Film, irgendwann mal gesehen, kam über ihn wie der Heilige Geist und erregte seine Hirnrinde, die Schwärme von Neurotransmittern freisetzte, welche ihrerseits an empfangsbereiten Rezeptoren andockten und andere Zellen des zentralen Nervensystems aufweckten.
    »Verzeihung, ich hatte mich in einem faszinierenden Bild verloren.« Er warf seine Haare
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