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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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Briefkastens. Danach Abfahrt, Stille, Weiterzwitschern und -schlafen. So sieht Ruhe aus und so hört sie sich an!
    Bis wir in das Haus am Ende der Sackgasse gezogen waren, wusste ich nicht einmal, dass es das tatsächlich geben kann: ein Leben ohne Lärm. Wie labil ich diesbezüglich nervlich bin, erfahre ich gerade schmerzhaft aufs Neue. Mein Zimmer in der Prenzlauer Berger Wegwarte ist ein sonniger Ort in einer Rechts-vor-links-Straße. Es gibt Doppelfenster und dicke Türen, die mich vor den Alltagsgeräuschen meiner Mitbewohner schützen. Aber. Es gibt auch eine dünne Wand in meinem Zimmer, hinter der offenbar ein kleines Mädchen wohnt und dessen vornehmste Freizeitbeschäftigung es ist, mit Holzklötzen, Blechautos, allerlei anderem Gerät sowie seinen eigenen kleinen Füßen den guten Dielenboden zu malträtieren.
    So jedenfalls stelle ich mir das vor auf meiner Seite der Wand. Und so hört es sich an, wenn ich, der guten Ruhe bedürfend, an meinem Schreibtisch sitze und versuche, dieses Buch zu schreiben. Hack, klack, bumm, schrei, kruschtelkruschtel. Kurze Stille. Dann wieder: Hack, klack, bumm … Ich reiße mich zusammen.
    Was soll denn das, rufe ich mich selbst zur Ordnung, du kannst doch nicht in die Innenstadt ziehen und erwarten, dass hier Ruhe herrscht!
    Aber, wispere ich, könnte man dem Kind, das sicher süß und sympathisch ist, nicht wenigstens einen Teppich ins Spielzimmer legen?
    Neeein, blöke ich zurück, genau dafür haben doch die Eltern die schönen Dielen- und Parkettwohnungen gemietet und gekauft – damit ihre Kinder sich entfalten können. Bist du etwa kinderfeindlich, hä?
    Na das, denke ich, ist ja nun die größte Beleidigung für eine praxiserfahrene Mutter. Ich gehe in mich und erinnere mich, wie wir selbst damals hier gewohnt haben. Die Straße, an der wir unsere Zimmerflucht gemietet hatten, war breit, schmutzig und grauenvoll verlärmt. Am Haus vorbei dröhnte alles, was so eine Großstadt an Emissionsträgern zu bieten hat: eine vierspurige Fahrbahn samt Autos und dazugehörigen Straßenbahnen, obendrüber rammelte die Berliner U-Bahn übers Gründerzeitviadukt. Tagsüber streunten kalbsgroße Hunde umher und schnappten nach den Kindern, abends marodierten amüsierwillige Trinker und Touristenhorden die Allee hinauf und hinab. Sahen wir im Sommer bei geöffneten Fenstern fern, ging das nur unter Inkaufnahme von akustischen Unterbrechungen. Wir versuchten dann, uns im Geschepper der U-Bahn auszumalen, was die Schauspieler gerade einander zu sagen versuchten und wer beim »Tatort« der Mörder war.
    Aber auch im Haus war es alles andere als leise. Unsere Wohnung verfügte über einen fünfzehn Meter langen Flur, durch den die Kinder mit altersentsprechendem Spielzeug jagten. Als sie klein waren, handelte es sich noch um Rasselautos für Krabbelkinder, nachdem sie laufen gelernt hatten, schenkte ihnen die Oma ein Bobbycar, also eines dieser riesigen roten Plastikautos, auf dem man den Flur hinunterfahren und dabei kräftig hupen konnte. Niemals wäre es uns eingefallen, die Fünfzehn-Meter-Rennstrecke mit störendem Teppich oder Läufer auszustatten. Hallo!? Das hier war Prenzlauer Berg, da sollten sich die Kinder mal richtig austoben können. Die Straßen waren damals schließlich noch nicht verkehrsberuhigt und die wenigen Spielplätze voller Hundekacke – die fielen also als Orte zum Ausagieren komplett aus.
    Was unsere Mitbewohner im Haus lange klaglos ertragen haben mussten, wurde uns erst klar, als über uns ebenfalls eine Familie mit Kind einzog. Nur einem Kind, wohlgemerkt. Aber das, ein süßer Knabe namens Kaspar, war der geliebte und einzige Enkel einer Großfamilie, die den Jungen mit sämtlichem Lärmequipment beschenkte, das der Einzelhandel zu bieten hatte. Kaspar bekam nicht nur das obligatorische Bobbycar, nein, dazu gehörten auch ein zweiachsiger Anhänger sowie eine chinesische Fahrradklingel. Als Kaspar drei wurde, legte die ganze Familie zusammen und schenkte ihm ein Trampolin. Da sein Zimmer direkt über unserem Schlafzimmer lag und Kaspar insgesamt eher Spätzubettgeher und Frühaufsteher war, wurden wir halbe Nächte hindurch und sehr frühe Morgen lang Ohrenzeugen seiner unstillbaren kindlichen Lebensfreude. Ich will nicht verhehlen, dass auch dieses an sich sehr sympathische Kind ein Glied in unserer langen Argumentationskette darstellte, warum wir die Innenstadt verlassen wollten. Aber das haben wir natürlich niemandem gesagt. Wir waren schließlich
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