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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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Plastiktellern aus Recyclingmaterial serviert, dazu gibt’s Demeter-Karottensaft oder Fenchel-Apfel-Tee oder gleich eine Kanne Stilltee. Alle Gäste müssen auf Triptrap-Stühlen sitzen, und wenn sie aufgegessen und ihren Baby latte ausgetrunken haben, dürfen sie die handgewebten Lätzchen abnehmen, und dann aber ab in die Spielecke, wo sie mit Holzklötzchen aus geöltem Olivenholz ihr gerade anfinanziertes Townhouse nachbauen. Es wird eine gleiche und gerechte Eltern-Kind-Partnerschaft geben, in der alle das Gleiche essen und trinken und so am Ende sogar das Gleiche scheißen.
    Im Café Kiezkind ist es heute aber noch nicht ganz so weit. Noch sitzen die Eltern auf den Hockern und Bänken, während ihr Nachwuchs mit kurzen Armen versucht, auf eines der umherstehenden räudigen und halb kaputten Schaukelpferde zu klettern. Noch finden sie sich hier zusammen und blättern in der aktuellen Neon oder in Nido , der Zeitschrift für hedonistische Eltern, reden über die Avocados, die im LPG -Markt diese Woche im Angebot sind, und den süßen Zivi, der gerade in der Kita angefangen hat. Ab und zu verschwindet eine Mutter oder ein Vater im Windelraum, um den Dienst am Hintern zu versehen. Und draußen vor der Tür, direkt hinter dem kleinen Zäunchen – aber so, dass ihre Kinder sie nicht sehen können –, stehen ein paar Väter und rauchen gesundheitsschädlichen Biotabak. Drinnen schäumt die Maschine unentwegt weitere Baby latte auf, Bionade-Flaschen werden entkorkt, Ovomaltine, Mangolassi und Kirschmolke fließen in die Gläser. Hier wird nur Gesundes konsumiert, aus den Kindern soll ja mal was werden, und die Gefahren von außen sind groß.
    Eine dieser Gefahren zum Beispiel steht gut sichtbar nur wenige Meter vom Café entfernt. Es sind die örtlichen Alkoholiker, die in der Mitte des Platzes seit Jahrzehnten ihren Treffpunkt haben. Wahrlich kein beruhigender Anblick: Männer mit roten, schiefen Gesichtern, gekleidet in karierte Fleecejacken, in den Händen halten sie Hundeleinen und Bierflaschen. Wenn Hasso nicht macht, was er soll, wird aus zahnlosen Mündern »Platz!« gebrüllt. Dann legt sich der Köter wieder nieder und schaut zu, wie neben seiner Schnauze die Kronkorken übers Pflaster klingeln und Kippen ausgetreten werden.
    Solche Männer gab es hier schon immer. Trinker. War schließlich mal ein Arbeiterbezirk, wo in den Eckkneipen schon mittags die Kohlenfahrer saßen und ihr 51-Pfennig-Bier gezischt haben. Aber jetzt stören sie. Jetzt stören sie die neue Ordnung auf dem Helmholtzplatz und ganz besonders die der Anwohner mit den teuren Kinderwagen. Schon gab es Anträge an die Bezirksverordnetenversammlung, das Trinken auf dem Helmholtzplatz zu verbieten. Einige besonders engagierte Eltern baten zusätzlich darum, das Ordnungsamt möge auch die Raucher zur Kasse bitten. Also natürlich nur die bösen Raucher. Wenn die Edel-Eltern hier mal ein mexikanisches Corona köpfen und dazu eine ganz korrekte American Spirit rauchen, ist das natürlich was anderes. Nämlich Genuss und Ankurbeln der Volkswirtschaft. Gott sei Dank haben die Puritaner kein Gehör gefunden. Denn derlei Gedanken sind ja ausbaufähig. Gut möglich, dass am Helmholtzplatz demnächst Leute ohne Kinder Begrüßungsgeld zahlen müssen. Dann wär’s hier echt wieder wie ganz früher.

G enetztes Brot und Biopesto oder
    M arkttag mit Zeigepflicht

    A ls in einer Seitenstraße des Kollwitzplatzes Anfang der Neunzigerjahre der erste Bioladen eröffnete, feierten wir Eingeborenen das wie eine Ufo-Landung. Neugierig stiegen Sibylle und ich hinab in jene Souterrain-Butze. Dort, im Kellerdunkel, wurde das feilgeboten, wofür wir bis dahin immer noch die Sektorengrenze nach Westberlin hatten überwinden müssen: harte Vollkornbrote, winzige, wurmstichige Äpfel, Biomilch, deren Ablaufdatum bereits innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden erreicht sein würde. Freundliche Menschen standen hinter der Registrierkasse, es wurde geduzt und gequatscht, die Babys in den Tragetüchern hießen noch Max und Lisa.
    Freudig reichten wir unser Geld über den Ladentisch, stolperten anschließend die Stufen hinaus ans Tageslicht und beeilten uns, nach Hause zu kommen, um dort die biologisch erzeugten Schätze zu verzehren. Ein teures Vergnügen war das, das wir uns, wenn wir konnten, trotzdem leisteten. Denn in der kurzen Zeit nach dem Mauerfall hatten wir erlebt, wie zuerst alle Ostlebensmittel aus den Regalen verschwunden waren, wir daraufhin mit sehr
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