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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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besser leben möchte.
    Das Klagen ist zur Mode geworden, ja geradezu eine Trendbeschäftigung jener in der Gegend, die einen Anwalt kennen oder, noch besser, selbst einer sind. Es wird nicht mehr das Gespräch gesucht, sondern gleich einmal feste durchgegriffen. Das nimmt nicht wunder, schaut man sich die schönen Erfolge der anderen juristischen Haudraufs an. So haben zum Beispiel drei (3!) Anwohner jener Hauptstraße, in der ich selbst einst mit meiner Familie gewohnt habe, durchgesetzt, dass die Fahrgäste der U-Bahn einen ganzen schönen Sommer lang laufen oder radeln statt Bahnfahren durften. Den drei Anrainern hatte nicht gefallen, dass die Handwerker auch nachts am sanierungsbedürftigen Hochgleis der U-Bahn herumflickten. Nun war Ruhe zwischen zehn und sechs, aber die Bauverzögerung betrug satte sechs Wochen. Gut, dass es nur noch so wenige Omas im Bezirk gibt, die die U-Bahn dringend gebraucht hätten.
    Hinter der Geschichte steckt ein Prinzip, welches lautet: Me first . Ich bin von der Klein- in die Großstadt gekommen? Dann hätte ich es trotzdem gern so, wie ich es von zu Hause gewöhnt bin. Ich wohne an einer der meistbefahrenen Straßen der Metropole? Dann bitte ich aber um meine gesundheitsfördernde Nachtruhe. Ich hab bis vor ein paar Jahren hier selbst Party gemacht? Sorry, jetzt hab ich Kinder und einen superwichtigen Job, da verstehe ich echt überhaupt keinen Spaß.
    Ja, Lärm ist etwas Scheußliches, Enervierendes, weiß Gott. Diese Ansicht teilten denn auch die Bauherren eines Mehrfamilienhauses, gelegen an einer etwas östlicher gelegenen Magistrale. Völlig überrascht stellten sie fest, dass genau dort, wo sie ihre schönen, teuren Eigentumswohnungen errichten ließen, seit Jahrzehnten ein Klub und die damit einhergehenden Besucher ihr Unwesen trieben. Die Störer gingen doch tatsächlich nach zweiundzwanzig Uhr aus, um Party zu machen oder Schlimmeres, auf jeden Fall Lärm. Bumm! Klage. Und was soll man sagen? Die Gestörten bekamen tatsächlich recht, und der Klub musste nach achtundfünfzig Jahren schließen.
    Derlei Ereignisse sind es, die im Prenzlauer Berg für Unfrieden sorgen, für Unsicherheit darüber, wer hier eigentlich noch erwünscht ist und wer – das vor allem – nicht. Gehen Privatinteressen vor Allgemeininteressen? Stellen Eltern durch die bloße Existenz ihrer Kinder eine Art soziales Biotop dar, das man am besten als Weltkulturerbe anerkennen sollte? Und wie sieht es dann mit den Alten aus, mit Hunden gar? Gefährden die bald das ästhetische Gesamtempfinden ausgewählter Bewohner und müssen ins Tier- oder Altenheim? Werden Raucher bald von Schutzmännern abgeführt, weil sie die Volksgesundheit schädigen?
    Es ist ein Kreuz mit der persönlichen Freiheit. Erst recht dann, wenn so viele kleine persönliche Freiheiten auf den angesagtesten elf Quadratkilometern der Republik ausagiert sein wollen. So etwas hatten wir uns damals nicht vorgestellt, als der kleine dunkle Bioladen aufmachte und uns eine Möglichkeit eröffnete, am guten und richtigen Leben teilzuhaben. Nun dürfen wir, Sibylle und ich. Wir kauen brav das Falafel, trinken unseren Orangensaft und schauen den neuen Machthabern bei der Vorratsbeschaffung zu. Dann schlendern wir rüber zur Gulaschkanone.
    Wie in einer Katzenecke steht dort ein Kollege von mir mit seinem Freund, die beiden trinken Berliner Pilsner und rauchen eine Mittagszigarette. »Mutig, mutig!«, sage ich anerkennend. Und da meldet sich auch schon vom Nachbarstehtisch eine Mutti, deren ostentatives Gewedel die beiden bislang tapfer ignoriert hatten. »Würden Sie bitte die Zigaretten löschen«, fragt sie, »ich möchte nicht, dass meine Tochter den Rauch abbekommt.« Die beiden sagen nichts. Sie gucken, nehmen noch einen tiefen Zug, dann treten sie die Kippen aus, schnappen ihre Pilsflaschen und ziehen von dannen. Nächsten Samstag treffen sie sich woanders.

A benteuer Baugruppe oder
    D ie mitgebrachte Kleinstadt

    N adja hat es getan. Sie hat einen Haufen Geld auf den Tisch gelegt, einen Kredit aufgenommen und einen dicken Vertrag unterschrieben. Nadja zieht demnächst in den Prenzlauer Berg. Mit ihrem Mann und den beiden kleinen Söhnen ist sie Mitglied in einer Baugruppe geworden. Private Baugruppen sind gerade das Must have für all jene, die einfach zu spät hergekommen sind, um noch eine bezahlbare Wohnung zu finden. Baugruppe – das klingt nach Genossenschaft, nach gemeinsamem Steineschleppen, Grillabenden und Schwätzchen im
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