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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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für wen?«, hat ein Anwohner mit Edding dazugeschrieben. »Den Bezirk den Menschen, nicht den Finanzhaien! Gegen westdeutsche Siedlungspolitik.« So etwas ließen sich die Investoren in der Familiengründungsphase natürlich nicht zweimal sagen, sie schrieben ihre Antwort so daneben, dass es auch der letzte Kapitalismuskritiker versteht: »Blödsinn. Dies ist ein Baugruppenprojekt. Dies bedeutet, fünfzehn Familien (=Bauherren) beschließen, selbst ein Haus zu bauen. Nix westdeutsch. Nix Finanzhai.« Dass die kleinste Wohnung mit 115 Quadratmetern nicht gerade das ist, was man unter sozialem Wohnungsbau versteht, haben sie nicht hingeschrieben. Auch nicht, dass der preiswerteste Quadratmeter ab 2200 Euro zu haben wäre. Aber hey, Baugruppe, das klingt doch nach Kollektiv, das sollten die Ostler doch kennen, oder?
    Nadja wird es natürlich trotzdem gefallen. Bald werden auf dem angekauften Baugrundstück die Erdarbeiten abgeschlossen, der Kran mit dem Rammstein verschwunden sein. Wer den Bauplatz dann passiert, sieht nur noch eine dezent grau in grau gehaltene Glas- und Stahlfassade. Das, was sich dahinter verbirgt, die provinzielle, gemütliche Welt der »Mitstreiter«, ist durch ein kniffliges codiertes Türschloss unsichtbar gemacht. Und wenn sie Glück haben, fällt ihr Hausprojekt keinem schwarz gewandeten Gentrifizierungsgegner auf, und die schöne Fassade bleibt frei von Farbbeuteln und Graffiti.
    Nadja kommt aus einer gemütlichen kleinen Stadt. In etwa so, wie sie das von zu Hause kennt, wird es in der Baugruppe wieder sein. Schmale, hohe Häuschen, in denen jene leben, die es gepackt haben. Man wird weiter zusammen Karneval feiern, keine Hunde mögen, die Kinder werden sich anfreunden und auch mal streiten. Und in zehn, fünfzehn Jahren, wenn auch die ersten Baumängel auftreten, sind sie alle miteinander alt und haben erwachsene Kinder.
    Da werden sie sich dann auf der Gemeinschaftsfläche neben dem verwaisten Spielplatz treffen und Gespräche wie jene führen, die auch ich aus meiner kleinen Kleinstadt kenne: »Na, wie geht’s denn Lasse/Robert/Nick? Ach, der studiert jetzt in Köln! Und ’ne feste Freundin hat er auch? Toll, pass bloß auf, dass du nicht bald Oma wirst.« Diese Gespräche sind das sichere Zeichen dafür, dass die Familienphase beendet ist. Und sie sind alles andere als erfreulich. Am Ende einer gemeinsamen Zeit, wenn alles getan und erreicht ist und die Kinder durchs Abi geschifft wurden, zeigt sich, was uns als Weggefährten noch verbindet. Wenn’s nur die Kinder sind, wenn sie der Lebenszweck und die einzige Freundschaft gewesen sind, sieht’s schlecht aus. Aber noch – hier und jetzt – riecht für Nadja alles nach Aufbruch. Nach Gemeinsinn, Gleichheit und dem Abenteuer Kleinstadt in der Großstadt. Und ich kann’s ihr nicht verübeln. Sie will exakt das, was sie gesagt hat: ein gutes Leben für sich und die Kinder, gemeinsam mit Leuten, die ihr erst mal sympathisch sind. Hoffentlich haut das hin.

I m Geburtshaus oder
    B lut, Schweiß und Freudentränen

    D er Fencheltee dampft aus der Thermoskanne. Die Sofakissen sind dick, fluffig und dunkelrot. Ruhig liegt der Pezzi-Ball in seiner Ecke. Es ist alles immer noch so wie damals im Geburtshaus Prenzlauer Berg. Wunderbar.
    Vor achtzehn Jahren hatte ich in diesen Räumen eine ziemlich bewegte Nacht. Um genau zu sein: Hier habe ich einen Zwölf-Stunden-Marathon absolviert, den man beschönigend Geburt nennt. Es war mächtig was los, ein großes Gestöhne, Getöse und Gewarte, schmerzhafte Wehen, unterbrochen von meinen immer wiederkehrenden Stoßseufzern. Wie lange das denn noch dauere mit dieser Geburt, fragte ich. Ob die Hebamme dieses Martyrium nicht mal eben für ’ne halbe Stunde homöopathisch unterbrechen könne, winselte ich. Und warum, verdammt, der künftige Vater denn bitteschön fast einschlafe, während ich direkt neben ihm den Streckenkilometer 37 absolviere. Unvergessliche, oberwichtige, megaemotionale Stunden, an deren Ende ein winziges zusammengekrümmtes Mädchen am Horizont des Lebens erschien. Wow!
    Damals war die Option Geburtshaus eine viel diskutierte Sache. Meine Mutter, die künftige Oma also, schlug die Hände über dem Kopf zusammen bei dem Gedanken, dass ihre Tochter ein so gefährliches Abenteuer wie Kinderkriegen in einer finsteren Parterrewohnung im Prenzlauer Berg zu bestehen beabsichtigt. »Dafür gibt’s doch Krankenhäuser«, barmte sie, »Hebammen sind doch keine Ärzte. Was ist, wenn was
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