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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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Frühstückscafés kein Durchkommen mehr – riesige Pulks von Neueltern hatten Stühle und Tische zu einer Art Festung zusammengeschoben, die Armada der Vintage- und Designer-Kinderwagen stellte den Befestigungsring dar. Es war ein Schreien und Schnattern, ein Greinen und Plappern, Stillen und Heulen. Und wer einfach nur frühstücken wollte, so wie Sibylle und ich, schien in den Augen dieser Ein-Kind-Eltern einer komplett vorgestrigen Generation von gebärstreikenden Müttern anzugehören und wurde entsprechend ignoriert.
    Ich sitze in Sibylles sonnendurchfluteter Küche und lausche den Nöten meiner Freundin. Statt 450 Euro soll sie bald unverschämte 500 Euro zahlen – »25 Prozent Mieterhöhung? Da haben die beim Mieterverein nur höhnisch gelacht.« Und letzte Woche war zwei Stunden lang das Wasser abgestellt, »das ist doch eine Provokation, ein Vorgeschmack auf das, was uns als Mieter hier erwartet«, schimpft sie. Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Wodkaglas und schaut zu mir hinüber ans andere Tischende. »Aber was red ich«, sagt sie und zeichnet mit dem Glasboden kleine Kondenswasserkreise, »du hast ja keine Ahnung, was hier inzwischen läuft. Haste vielleicht ganz richtig gemacht, hier wegzuziehen.«
    Zehn Jahre lebe ich nun schon am Stadtrand, die Kinder sind drüber groß geworden, und ich bin inzwischen eine Postmom. Heute jammern die Töchter mir die Ohren voll, in was für eine grüne Einöde ich sie – die gebürtigen Hauptstädterinnen – verschleppt habe. Ich höre ihre Worte und erzähle was von guter Luft und kurzen Wegen. Ich mache das, damit wir uns alle besser fühlen. Denn natürlich fehlt auch mir die Stadt, meine Stadt. Aber ist sie das denn überhaupt noch? Meine Stadt? Mein Prenzlauer Berg?
    Jetzt dominiert dort ein risikofreies urbanes Leben in ganz und gar geordneten Verhältnissen. Alle paar Meter ein noch abgefahreneres Geschäft. Cafés, in denen die Friedrichs und Alruns auf winzigen Stühlchen vor lactosefreiem Kakao sitzen. Spielplätze, auf denen Kinder buddeln, die gekleidet sind wie kleine Lords und Ladies auf Studienreise. Häuserlücken, in denen baubiologisch einwandfreie Townhouses und Lofts zum Verkauf stehen. Eine unvorstellbare Volvo-, Saab- und Therapeutendichte, Geburtshäuser, Kitas, Privatschulen, so viel man will … Sibylle hat wohl recht – ich habe keine Ahnung, was dort wirklich läuft.
    In vielen verschiedenen Städten tauchen diese Zonen der Macchiatomütter und Edel-Eltern auf, ich erkenne den Entwurf, die ganze Haltung, wenn ich auf Reisen bin. Der Prenzlauer Berg wird nur deshalb als Klischee gehandelt, weil er einfach zuerst da war, so perfekt in dieser neuen Us-first -Haltung. Dieses Milieu will ich mir mal genauer anschauen. Was spielt sich ab in den Parkettwohnungen? Wie wird heute geheiratet, geboren, gelebt in meinem ehemaligen Viertel? Wer hat das Sagen in den Privatschulen? Wer kann sich all die dicken Autos, die Biomarktpreise, Designerkinderschuhe und die Townhouses eigentlich leisten? Und ist auf dem Spielplatz zu hocken nicht immer noch genauso langweilig für die Eltern wie einst?
    Ich schalte eine Kleinanzeige. » ACKERN , AUSGEHEN , SCHLAFEN . Journalistin aus dem Berliner Umland sucht für April, Mai und Juni ein Zimmer im Prenzlauer Berg. Gibt es das?«
    Das gibt es. Nur wenige Tage später schaue ich mir einen Raum an: hell und freundlich, preiswert und mit eigenem kleinen Bad, vermietet wird er von einer schwäbischen Familie mit spätem Einzelkind. Wir mögen uns von Anfang an, ich muss versprechen, nichts aus dem Zusammenleben mit meinen Mitbewohnern aufzuschreiben – das ist ihre einzige Bedingung. Zwei Wochen später, zehn Jahre nach meiner grimmigen Ausreise, reise ich wieder ein in den Prenzlauer Berg. An einem Aprilsonntag ziehe ich ins Wegwarte-Zimmer. Ich stelle meine Leselampe ans Futonbett, rücke den Schreibtisch an die Wand, räume Kleider und Schuhe in den Schrank. Und dann beginnen sie – meine drei Monate Feldforschung im Macchiatobezirk.

F lüstern und Schreien oder
    D er Lärm in der Großstadt

    I ch hab’s nicht so mit Lärm. Um genau zu sein: Ich hasse ihn. Kein Wunder, in den letzten Jahren im Speckgürtel habe ich erfahren dürfen, was die schöne Formulierung »himmlische Ruhe« meint. Nämlich ungestörten Nachtschlaf, aus dem man in der Morgendämmerung von Vogelgezwitscher ganz langsam herausgebeamt wird, nur kurz durchbrochen vom Motorengeräusch des Zeitungsautos und dem metallischen Klappern des
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