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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Autoren: Tamara Domentat
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Frauen aus Westdeutschland an, die sich ohne Druck in der Sexarbeit verwirklichen wollten. Zwar gab es auch hier Zuhälter, aber einzeln arbeitende Frauen oder Frauen, die einen Etagenpuff führten, sind von denen so gut wie nie belästigt worden. Im Gegenteil: Es gab sogar die eine oder andere freundschaftliche Verbindung. Bei Problemen konnten sich die Frauen an sie wenden, ohne ihre Autonomie aufzugeben. Die Zuhälter betrachteten es als eine Ehrenpflicht, einem Mädel zu helfen. Sterbende Löwen, diese Generation.
     
    Auf diese Weise entstand abseits neonblinkender Rotlichtclubs eine separate, informelle Szene von Frauen, die einzeln, mit Freundin(nen) oder in lockeren Netzwerken Sex gegen Geld tauschten - als Escorts, in Wohnungen oder unabhängig auf der Straße. Aus manchen dieser Kooperationen entwickelten sich Bordelle, nicht selten unter weiblicher Leitung, die sich bewußt von den Zwangs-und Ausbeutungsszenarien im Rotlichtmilieu abgrenzten und die Prostitution im Sinne eines Arbeitsverhältnisses umdefinierten. Hier wurde der Grundstein gelegt für die Debatte um die Anerkennung der Prostitution als Beruf. In den Biotopen unabhängiger Sexarbeit wurde die Prostitution de facto neu erfunden - unbehelligt von Zuhältern und Moralwächtern. Ausgerechnet Berlin, laut Durex Global Sex Survey 1999 eine der unerotischsten Metropolen der Welt, präsentierte den telegenen Glitzerwelten von St. Pauli & Co. eine weniger sichtbare, aber sexualpolitisch definitiv korrektere Alternative: eine Sexarbeit, die die Spielregeln der klassischen Rotlichtmilieus auf den Kopf stellte und gerade deswegen kommerziell erfolgreich wurde.
    Wenn das Stichwort Prostitution nicht mehr ausnahmslos und automatisch Assoziationsketten auslöst, in denen großspurige Luden handgreiflich werden und milieugeschädigte Huren mit schmer-bäuchigen Freiern im Akkord »Falle schieben«, dann liegt das aber nur bedingt am Privileg einer sperrbezirklosen Stadt. Alle am sexuellen Tauschgeschäft beteiligten Akteure haben sich verändert.
    Wenn Sexarbeiterinnen wie betriebswirtschaftlich kalkulierende Geschäftsfrauen auftreten (und ausbeutende Zuhälter mehr denn je gesellschaftlich geächtet werden), dann wegen der Veränderungen, die die Frauenbewegung mit ihren Debatten um berufliche Unabhängigkeit (und Männergewalt) lostrat. Der Zugriff männlicher Nutznießer wurde aber auch durch ein Phänomen gelockert, das in großem Stil erstmals in den siebziger Jahren aufkam: die Beschaffungsprostitution. Die Kinder vom Bahnhof Zoo setzten ihre Sexhonorare schneller in Drogen um als irgendein Zuhälter die Hand aufhalten konnte. Die sexuelle Revolution schuf ein öffentliches Bewußtsein für die anatomischen und physiologischen Gegebenheiten weiblicher Sexualität. Wenn Prostitutionskunden heute bestrebt sind, ihren Dienstleisterinnen Orgasmen zu verschaffen, dann verdanken alle Beteiligten diese Entwicklung einer Etikette, die Frauen auch im Hinblick auf ihr sexuelles Erleben mit Männern gleichstellte.
    Mit den Menschen haben sich auch die gesellschaftlichen Einstellungen verändert. Der bereits 1973 im Zuge der Strafrechtsreform entsorgte Kuppelei-Paragraph löste das Gewerbe ein Stück weiter aus der Kriminalisierung heraus und erleichterte damit dessen Kommerzialisierung. Gemeint ist nicht allein, die boomende Sexindustrie, die ihre mediale Dauerpräsenz inszeniert und von einem Freizeitverhalten profitiert, das zunehmend konsumorientiert abläuft.
    Eine helfende Hand reichen auch Medien und die Werbung »seriöser«
    Branchen, denen es immer wieder gelingt, sexuelle Tabus in Trends zu verwandeln: Bevor sie den Mainstream eroberten, galten Stiefel, High-Heels, Strapse und Dessous als die Mode-Codes der Prostitution, Piercings und Latex-Outfits als Erkennungszeichen der S/M-Szene.
    Und auch der Identitätswandel westlicher Industriestaaten hin zu Dienstleistungs-und Wissensgesellschaften förderte ein Bewußtsein für bezahlten Sex als qualifizierte Dienstleistung.
    Während sich die Gesellschaft im Umgang mit verschiedensten Sexualitäten zunehmend liberaler zeigte, machte die Prostitution eine Art Privatisierungsprozeß durch, der einen ganz eigenen Beitrag dazu leistete, die Grenzen des Rotlichtmilieus zu sprengen. Die Sexarbeit verlagerte sich von der Straße und dem stadtbekannten Bordell zunehmend in diskretere Privatwohnungen. Einst die Domäne von Berufshuren, erweiterte sie sich um Hausfrauen und Studentinnen, die gelegentlich oder
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