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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Autoren: Tamara Domentat
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Rückzugs offenzuhalten, formulierte ich eines Tages eine Annonce als unabhängige Prostituierte. Wenig später meldete sich mein erster Kunde. Am Telefon tauschten wir die nötigen Kontaktin -
    formationen aus und verabredeten uns in seinem Hotelzimmer.
    Als ich am selben Abend an seine Tür klopfte, öffnete mir ein Mann mittleren Alters in einem weißen Frotteebademantel. Um einen höflichen und kultivierten Eindruck bemüht, half er mir aus der Jacke und bot mir ein Glas Courvoisier an. Er erzählte, daß er Mediziner sei, gerade eine Fachtagung besuche und sich ein bißchen einsam fühle. Er trug einen Ehering, doch über sein Privatleben verlor er kein Wort. Als ich ihn nach seinen erotischen Wünschen fragte, wirkte er peinlich berührt und gestand, dies sei für ihn das erste Mal mit einer Prostituierten. Ihm war selbst nicht ganz klar, was er zu erwarten habe. Daß es mir ähnlich ging, verschwieg ich lieber. Bestrebt, einen professionellen Eindruck zu vermitteln, erbat ich das Honorar, auf das wir uns geeinigt hatten. Ich hatte das Szenario der Geldübergabe in meiner Phantasie bereits ein paarmal durchgespielt und befürchtet, daß es mir unangenehm sein könnte.
    Doch als er mir das Geld überreichte, kehrte sich die Situation um: Entgegen aller Erwartung wirkte er unsicher, und ich fühlte mich stark und souverän.
    Mit Würde und freundlicher Ironie gelang es uns, auch unsere restlichen Unsicherheiten zu überspielen. Als ich mich auszog, zündete er ein Teelicht an, das wie aus dem Nichts auf der Nachttischablage aufgetaucht war und unserem Treffen fast eine romantische Note verlieh. »Das Hotel ist für alle Situationen gerüstet«, kommentierte er den Fund, knipste die Lampe aus, warf den Bademantel über den Sessel, und eine Sekunde später lag er im Kerzenschein ausgestreckt auf dem Bett. Von einem Massageprofi im Swingerclub hatte ich mir Elemente einer Entspan-nungsmassage angeeignet, die ich jetzt zur Anwendung brachte.
    Ungefähr zehn Minuten lang massierte ich unter einem im Prinzip überflüssigen Erfolgsdruck vor mich hin, bis er den Kopf hob und fragte, ob er nun mich massieren dürfe.
    Angenehm überrascht, akzeptierte ich den Rollentausch. Leider massierte er ziemlich dilettantisch, noch dazu für einen Arzt. Meine Schulter-und Nackenmuskeln warteten umsonst auf Entspannung.
    Wenigstens war er kein schlechter Liebhaber. Der Übergang von der Massage zum Verkehr lief irgendwie organisch und spielerisch -
    konventionell ab, ohne Hast, spektakuläre Extrawünsche oder Verhaltensauffälligkeiten, hin und wieder unterbrochen von Nachfragen und kleinen verbalen Nettigkeiten. Was die Ebene der sexuellen Intimität angeht, unterschied sich unser Tauschgeschäft kaum von einem (angenehmen) Privatkontakt. Gentlemanlike kümmerte er sich zuerst um mein Vergnügen, und nachdem er selbst zum Orgasmus gekommen war, küßte er mein Gesicht ab.
    Man hätte meinen können, er habe eine lange Phase sexueller Askese hinter sich.
     
    Klischee Nr. 1:
    Prostitution bedeutet Rotlichtmilieu.
     
    Glaubt man dem Klischee, so ist die Prostitution in den abgeschotteten Glitzerwelten der Rotlichtviertel zu Hause, wo hinter neonblinkenden Fassaden das Faustrecht regiert. Das Geschäft mit der Lust wird von Zuhältern organisiert, die die Frauen in frühkapitalistischer Manier ausbeuten. Nach einer Vielzahl unpersönlicher Sexkontakte sind diese irgendwann abgestumpft, bitter und beziehungsunfähig. In der Vorstellung vieler Menschen ist das tragische Dasein einer Hure durch eine frühe Mißbrauchserfahrung vorprogrammiert und findet seine selbstzerstörerische Fortsetzung in emotionalen Abhängigkeiten - von Drogen, Alkohol oder Zuhältern. Letztere profitieren als einzige vom Tauschgeschäft Sex gegen Geld. Wir verurteilen ihre Skru-pellosigkeit und bedauern die Prostituierte um ihre verpaßten Chancen. Reflexhaft reagieren wir mit Unbehagen und Empörung auf einen Lebensstil, der halbseidene Existenzen zu Profiteuren und Frauen zu Opfern macht.
    Doch das Klischee entspricht längst nicht mehr den komplexen Realitäten des Gewerbes. In den letzten zwei, drei Jahrzehnten haben sich immer mehr Frauen den Spielregeln des Rothchtmiheus entzogen und dessen ungeschriebene Gesetze in zuhälterfreien Zonen außer Kraft gesetzt. Ob als unabhängige Escorts, in Bordellen, Studios oder Agenturen - die Pionierinnen der neuen Sexarbeit organisierten einen Arbeitsalltag, der beweist, daß sexuelle Tauschgeschäfte nicht
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