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Lass den Teufel tanzen

Lass den Teufel tanzen

Titel: Lass den Teufel tanzen
Autoren: Teresa De Sio
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machte? Ich und Severino, wir waren mucksmäuschenstill, ohne zu spielen, ohne zu lachen. Wir fingen an, die Wolken am Himmel zu zählen. Und als du in den Garten zurückkehrtest, Tante, da hast du auch nicht mehr gelacht.
    Bis zu dem Moment war jener Tag der schönste in meinem ganzen Leben gewesen. Aber auch der hatte so geendet, wie es immer mit dir geendet hatte. Auch an jenem Tag hatte das Ungeheuer alles gefressen, und es war nichts mehr übrig, nur noch das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Und ich hab mich wirklich übergeben, weißt du das noch? Während der Rückfahrt, weil ich so gerne bei Severino bleiben wollte; und was hab ich geschrien, als du mich wegbrachtest, um mich getreten und auf den Boden geworfen habe ich mich, und du musstest mich am Arm packen, und ich tat mir weh und habe mich so aufgeregt, dass ich mich aus dem Fenster des Busses übergeben musste. Erinnerst du dich, Papa?

    Das war mein Leben. Das Teufelskraut, das in meinem Leib gewachsen war.

    Und dann kam jene Karnevalsnacht.
    Wie schön Narduccio war! Und auch noch in diesem Frauenkleid, wie schön er war! Ich hatte ihn gleich erkannt und blieb mit offenem Mund stehen, als ich ihn dort hinter der Glastür stehen sah, im Licht des kleinen Lämpchens. Warum nur öffnete sich nicht die Erde und verschluckte mich für immer? Narduccio hatte mich gesehen! Jetzt würde er mich nicht mehr gernhaben. Weder er noch Donna Mariannina. Vielleicht ekelten sie sich jetzt nur noch vor mir. Genau in jenem Moment, als die Flammen erloschen waren und ich dort stand, mit dem angekokelten Schleier und dem zerdrückten Haarreif in einer Hand, war die ganze Welt zum Stillstand gekommen. Auf die Küche des Gutshauses war ein langes Schweigen gestürzt, wie eine Ewigkeit, schwer und unbeweglich. Das Haus, du stehend, Angelo Santo im Rollstuhl, Narduccio stocksteif draußen im Garten, und ich … wir alle waren zu Stein erstarrt. Zu Stein geworden war das weiße Kleidchen der Erstkommunion, das mir auf die Füße hinabgerutscht war, zu Stein auch die Kerzen, die halb heruntergebrannt waren, zu Stein die ausgebackenen Karnevalskringel auf dem Teller, zu Stein Narduccio, die Handfläche gegen das Glas gepresst, mit einem Ausdruck des Entsetzens im Gesicht, zu Stein auch du und der Alte, die ihr gerade mit dem Ächzen und dem Stöhnen aufgehört, aber euch den Hosenlatz noch nicht zugeknöpft hattet. Weißt du, was ich in jenem Moment gedacht habe, Papa? Ich dachte, dass die wirkliche Welt geendet hatte und dass wir vier zu
Krippenfiguren geworden waren. Ich stellte mir eine riesige Hand vor, die sich über uns herabsenkte. Und dann würde der Riese uns ganz vorsichtig nehmen und vor sein Gesicht halten, würde uns genau anschauen, zufrieden mit unserer Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen, würde uns, einen nach dem anderen, behutsam in Stroh einwickeln und uns bis ins nächste Jahr in irgendeiner Schublade verstauen.
    Aber in Wirklichkeit konnte das nicht geschehen, und so zerplatzte diese unbewegliche Stille mit all ihren Albträumen, ganz plötzlich und ohne ein Geräusch zu machen … die Steine lösten sich auf, und das Leben nahm wieder seinen Lauf, ohne Gnade …
    Aber an die Albträume war ich gewöhnt, weißt du, Papa? Bei Tag, mit offenen Augen, und bei Nacht. Manchmal war da eine gewaltige dunkle Welle, hoch wie ein Berg, die aus dem Nichts auftauchte und über mir zusammenschlug, über uns, mit der Wucht von hundert Sturmfluten, und alles hinwegspülte, und dann roch ich diesen Geruch nach Fisch und nach toten Algen, den Ertrinkende immer kurz vor ihrem Tod in der Nase haben, und ich gab mich diesem Seebeben hin, das mich erfasste, ließ mich von ihm unter der Gischt der Wellen herumwirbeln und mich wegreißen, weg vom Schraubstock deiner Hand, die mich am Arm gepackt hatte, weg, einfach nur weit, weit weg. Eines Nachts, mehrere Monate vor jener Karnevalsnacht, hatte ich genau diesen Traum gehabt, den Traum von der bebenden See. In dem Traum war eine gewaltige Welle aus der Ferne bis zu dem wunderschönen Strand herangerollt, an dem ich im Sand buddelte, der Strand, der vielleicht der von Pescolúse war oder der von Porto Badisco, den ich auf Postkarten gesehen hatte.

    Und ich lief davon, in Richtung eines Berges, den es in Wirklichkeit nicht gab, nur im Traum, und ich lief ganz schnell, und am Ende verschlang das Meer tatsächlich alles außer mir, die ich den Gipfel des Berges erklommen hatte und völlig erschöpft da stand und mir das neue
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