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Lanzarote

Lanzarote

Titel: Lanzarote
Autoren: Michel Houellebecq
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Schutzinstinkt, auf jeden Fall in irgendetwas, das unmerklich und stufenweise zur Mutterliebe hinführt.“
    Wenn diese Grundlage jeder Glücksmöglichkeit in unserer modernen Gesellschaft auch noch verschwindet, wie die Fälle Bruno und Michel praktisch und sämtliche Wissenschaften theoretisch beweisen, dann sollte die menschliche Natur besser zerstört und das Individuum durch Klonen beseitigt werden. Das nennt man wohl eine konsequente Argumentation. Oder auch ein psychopathisches Wahnsystem.
    In solchen Systemen werden beliebige Erfahrungen, Kenntnisse, Theorien stets so arrangiert, dass am Ende zwangsläufg und scheinbar ganzlogisch heraus kommt, was dem Psychopathen einzig erträglich erscheint: In diesem Fall Rache für die unvermeindliche Trennungserfahrung der frühen Kindheit. Hass, Pathos, Kitsch und missionarischer Eifer und Größenwahn das ist die Lieblingsmischung des Psychopathen. Auch wenn er hier als Literat auftritt.
    In Frankreich hatte man tatsächlich versucht, Einzelheiten dieses Wahnsystems zu diskutieren: ob man die Hippie-Generation so negativ darstellen dürfe, ob Houellebecq ein Faschist sei, weil er über Eugenik so positiv schreibe. Merkwürdige Idee. Man würde doch auch nicht anfangen mit einem Amokläufer zu verhandeln, wie viele Personen genau und welche Kandidaten er wie niedermähen sollte wenn es denn schon unbedingt sein muss.

    erschienen in: Berliner Zeitung 11.09.1999

Die depressive Muffelei des Pavians

    von Arno Widmann

    Michel Houellebecq betreibt die „Ausweitung der Kampfzone“

    Der Ich-Erzähler des Romans von Michel Houellebecq ist Anfang Dreißig, ein Angestellter, der, von seiner Freundin verlassen, außer zwei, drei Arbeitskollegen niemanden hat, mit dem er spricht. Also schreibt er. Er versucht, der ihm entgleitenden Wirklichkeit Herr zu werden, indem er über sie räsonniert. Das Buch enthält die Geschichte seiner letzten Monate, in denen er die französische Provinz bereist, um den Kunden seiner Firma die frisch erworbene Software zu erklären. Wer je die französische Provinz besucht hat, weiß, so ein Road Movie müßte selbst bei heiter angelegten Naturen in einer Depression enden. Das Element des Helden von Michel Houellebecq ist die Coolness. Also handelt er nicht, sondern beobachtet. Er genießt diesen Status, der alles um ihn herum zum Objekt macht und damit ihn zum einzigen, allen überlegenen Subjekt.
    In keiner Sekunde kommt ihm die Ahnung, daß er einer Täuschung erliegen, daß alle anderen im gleichen Gefühl sich spreizen könnten. So groß seine Verachtung für die Ameisenwelt der anderen ist, so kindlich und lebensängstlich verkriecht er sich in die eigene, narzißtisch besetzte Haut, und niemals kommt ihm der Gedanke, daß auch er in den Augen der anderen nichts ist als ein sich abstrampelnder, ganz und gar unsouveräner Organismus. Als reiner Beobachter weiß der Ich-Erzähler sich dominant. Daran läßt er nicht rütteln. Was ihn aus dieser Rolle locken könnte, bedeckt er mit Schmähworten. Nie erwähnt er Frauen, ohne sie zu beschimpfen. Gleichzeitig scheinen sie im Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu stehen.
    Das gibt dem Buch von Anfang an einen abstoßenden Geschmack. Man möchte nicht in seine verekelte Welt hinein0gezogen werden, wird es aber doch, denn die Verbitterung des Ich-Erzählers ist nur eine Maske des nicht minder galligen Autors. Das Aufblitzen der kleinen Differenzen zwischen dem Helden und seinem Autor macht die Lektüre erst reizvoll. Jedenfalls für einen Leser, der auf die gewaltgeladene, depressive Muffelei, mit der das junge Männchen schon bei den Pavianen sich interessant zu machen versucht, aus Temperaments- oder Altersgründen nicht mit dem begeistert gehauchten „So-ist-es, so- ist-es“ der Identifkation reagiert.
    Aber natürlich hat gerade dieser Leser allen Grund, dem 1958 geborenen französischen Skandalautor Michel Houellebecq für seinen Romanerstling dankbar zu sein, ermöglicht er ihm doch nähere Bekanntschaft mit einem Typus, den er sich spätestens seit der Pubertät vom Leibe gehalten hat. Er, der sonst die Geschlechtsgenossen fieht, die an der Theke nach vier, fünf Gläsern Bier den totalen Durchblick haben, setzt sich ihrem Dunst in der angenehm in Druckerschwärze getauchten Figur von Houellebecqs Ich-Erzähler drei Stunden lang aus und kommt dahinter, daß Antipoden einander ähnlicher sind, als sie es sich selber eingestehen mögen. Ihm beginnt zu dämmern, daß die Coolness des einen und
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