Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lanzarote

Lanzarote

Titel: Lanzarote
Autoren: Michel Houellebecq
Vom Netzwerk:
muss ja kein liebevolles sein. Houellebecqs Prosa teilt mit seinen liebesunfähigen Figuren den beutehungrigen und pointengierigen Blick, der hastig von einem Busen zum nächsten irrt.
    Houellebecqs Werk ist die andere Seite der Porno-Münze, der Währung des sozialen Supermarkts. Auf deren Zahl-Seite steht Dolly Buster als Symbol für die fröhliche Dauerberieselung durch Striptease-Shows im Fernsehen, Thailand-Reports und TV-Anleitungen zum Bau einer heimischen Folterkammer. Auf der Wappen-Seite steht Houellebecqs Denkmal des einsamen Onanisten. Es ist die Währung einer Welt ohne Liebe. Doch was kann man dafür kaufen? Keine Währung der Welt lebt ohne die aufgesparten Bedürfnisse des Kunden, kein Tauschwert existiert ohne Gebrauchswert und ohne die Arbeit, die zu dessen Herstellung verausgabt worden ist. In Houellebecqs Supermarkt ist der Kunde sein eigener Unternehmer, Arbeiter und Bankier. In Wirklichkeit wäre ein solches System sofort in sich zusammengefallen.

    erschienen in: Berliner Zeitung 27.11.1999

Gegen Bärenschützer, Hippies, Satanisten

    von Johannes Wetzel

    Der Streit um Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“ beleuchtet die Me chanismen des französischen Buchmarkts

    Michel Houellebecqs soeben auf Deutsch erschienener Roman „Elementarteilchen“ war in Frankreich das Ereignis des literarischen Herbstes 1998. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Meisterwerk, sondern um die langweilige Geschichte zweier Halbbrüder von denen der eine ein sexuell abstinenter Genetiker ist, der andere ein sexbesessener Literatur-Lehrer , angereichert mit fachen philosophischen, biologischen und physikalischen Exkursen sowie teils ärgerlichen, teils scharfsichtigen Bemerkungen über den Menschen als Elementarteilchen in der Sozialstruktur. Als Geschichte und sprachliches Kunstwerk ist der erste, inzwischen ebenfalls auf Deutsch erschienene und soeben verflmte Roman „Ausweitung der Kampfzone“ (1994) viel besser. Houellebecqs zentrale These ist darin auch schon enthalten: Die Liberalisierung der Gesellschaft seit 1968 habe zur Ausweitung des ökonomischen Wettbewerbs auf das Gebiet der Sexualität geführt. Heute gebe es auch da Kapitalisten, Spekulanten und pauperisierte Proletarier.
    Die „Affaire Houellebecq“ wirft also vor allem aufschlussreiche Schlaglichter auf die Mechanismen des französischen Buchmarkts. Weit vor Saisonbeginn verschickte der Lektor die Fahnen an strategische Freunde: Das Szenemagazin „Les Inrockuptibles“, dessen Mitarbeiter Houellebecq nach wie vor ist, beschloss, den bis dahin nur Insidern bekannten Autor auf die Titelseite zu setzen. Gleichzeitig erschien Houellebecq auf dem Titel des populären Büchermagazins „Lire“. Damit hatte der Lektor Raphael Sorin, wie er freimütig bekennt, die „Rakete“ Houellebecq mit der „ausreichenden Sprengladung“ gezündet. Fast simultan berichteten alle wichtigen Tageszeitungen und Wochenmagazine über das Phänomen. Bald war der Dichter in allen verfügbaren literarischen Talkshows zu sehen. Sein Lektor stellt illusionslos fest, dass Houellebecqs unprofessionelles Auftreten als geistesabwesender, stammelnder Phlegmatiker inzwischen zur Masche geworden ist. Die Zigarette zwischen Mittel- und Ringfnger, die Plastiktüte vom Supermarkt sind sein Markenzeichen: Der Dumont-Verlag hat daraus das Cover für die deutsche Ausgabe gemacht.
    In der französischen Debatte wurden dem Autor alsbald die Ansichten der Romanhelden zugeschrieben. Die am Anfang des Buches entwickelte Szene des Kanarienvogels, der, kaum aus dem Käfg entlassen, schleunigst wieder ins Gefängnis will, illustriert ganz gut, was Houellebecq von seinen Gegnern vorgeworfen wurde: Er sei ein Reaktionär, der sich die geordnete Welt vor 1968 zurückwünsche. Andere verdächtigten Houellebecq, die Bewunderung seines Protagonisten Michel für das in Huxleys „Brave New World“ beschriebene, eugenische „Paradies“ zu teilen. Houellebecq trug in Interviews bereitwillig dazu bei, solche Sorgen zu bestätigen. In „Lire“ hatte er erklärt, er glaube an die sozial-biologische Determiniertheit und damit die gedankliche Unfreiheit des Menschen. Im Gespräch mit seinen Freunden von „Les Inrockuptibles“ sprach er sich gegen die Abtreibung aus, bekannte schmunzelnd seine Bewunderung für Stalin („weil er so viele Anarchisten umgebracht hat“) und verkündete: „Jeder Feind der individuellen Freiheit kann ein objektiver Verbündeter sein. Ich habe nur einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher