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Lanzarote

Lanzarote

Titel: Lanzarote
Autoren: Michel Houellebecq
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lernen, die wie Bruno und Michel, in der tristen bürgerlichen Welt der Vorstadtwohnungen, Nacktbadestrände, Versandhauskataloge und Swinger-Clubs sinnlos vor sich hin altern, sobald ihr Wert auf dem Markt der Jugendlichkeit schwindet.
    Dann bleibt ihnen nur, ihre Fortpfanzungsorgane entweder viel zu viel oder viel zu wenig zu benutzen und ansonsten hoffnungslos einsam, gnadenlos grausam, oder, falls es sich um hingebungsvolle Ausnahmefrauen handeln sollte, zum frühen Tod verurteilt zu sein. Sie alle sind nichts als didaktische Handpuppen, jede für sich „symptomatisch“ und „charakteristisch für ihre Epoche“, mit denen ein Erzähler seine Thesen illustriert und zwar zumeist in schlechtem küchensoziologischen, philosophischen, bisweilen auch naturwissenschaftlichen Jargon. Da wäre beispielsweise die Mutter aus der Generation der ersten Hippies: „Sie stellen das Böse dar, sie haben das Böse getan“, tragen größte Schuld an der Ausbreitung von Egoismus, Jugendkult, sexueller Zügellosigkeit und enden meist als Serienkiller. Die Mutter selbst gehört zu jener Kategorie von Individuen, die versuchen, „zum einen sehr stark die von der Mehrheit ihrer Zeitgenossen geführte Lebensweise von oben her zu überwinden, indem sie sich für neue Verhaltensweisen einsetzen oder zur Verbreitung von noch wenig bekannten Verhaltensweisen beitragen Sie spielen jedoch ausschließlich eine Rolle als Beschleuniger historischer Prozesse im allgemeinen historischer Zersetzungsprozesse.“
    Auch wenn der schlechteste Soziologe besser schreiben würde die Abscheu des Erzählers vor dem allgemeinen Zersetzungsprozess wird hinreichend klar. Die Abscheu verlangt ein konkretes Hass-Objekt, zu dem sich Mütter „ganz allgemein“ gut eignen. Ein „Roman“ genanntes Buch braucht schließlich Figuren. Denn Texte, über denen „Pamphlet gegen die Schlechtigkeit der Welt sowie Vorschläge zu deren Rettung“ steht und um ein solches handelt es sich hier liest keiner. Hilfsweise werden deshalb Figuren vorgeschickt, die alle von frühester Kindheit an genau gleich funktionieren.
    Da setzt Houellebecq den kleinen Michel vor den Fernseher, zeigt ihm ein paar Tierflme, worauf dieser die Grausamkeit der Natur erkennt, in der die Schwächsten untergehen: „Michel bebte vor Empörung und spürte auch dabei, wie in ihm eine unerschütterliche Überzeugung heranreifte: Im Ganzen gesehen war die ungezähmte Natur nichts anderes als eine ekelhafte Schweinerei; im Ganzen gesehen rechtfertigte die ungezähmte Natur eine totale Zerstörung, einen universellen Holocaust und die Aufgabe des Menschen auf der Erde bestand vermutlich darin, diesen Holocaust durchzuführen.“ Leider hat der Erzähler vor lauter holocaustgesättigtem Naturhorror vergessen, dass sein Demonstrationsobjekt zum Zeitpunkt dieser unerschütterlichen Überzeugungen erst zwölf ist. Aber wer will schon pingelig aufs Detail achten, wenn s ums große Ganze geht.
    Wenn also irgendetwas an diesem schlecht geschriebenen Buch auf schaurige Weise „interessant“ ist, dann die Haltung des anonymen Erzählers, der von heftigsten Obsessionen angetrieben wird und alles tut, um einen unbändigen Furor loszuwerden. Nach allen Äußerungen Michel Houellebecqs ist zu befürchten, dass der Erzähler mit dem Autor identisch ist.
    Neben seinen Handpuppen präsentiert er biologische Lexikonartikel über das Dominanzverhalten im Tierreich, formuliert soziologische Abhandlungen über die Entwicklung der französischen Gesellschaft „im Allgemeinen“, schwadroniert über die atomaren und chemischen Grundlagen des Lebens, über Globalisierung, Konkurrenzkampf, Anthropologie, Metaphysik, Religion, Moral. Die ganze theoretische Palette der Epoche wird aufgetischt und durchgerührt, um immer wieder nur eines zu beweisen: dass das Individuum für immer einsam, schutzlos, sterblich, unglücklich und getrennt von seiner Mutter oder entsprechenden Nachfolgerinnen sein wird.
    Selbst die schließlich doch noch harmonische Liebesgeschichte zwischen Bruno und Christiane ermöglicht keinen Ausweg aus der Tragödie der menschlichen Natur. Glück ist „untrennbar mit Zuständen regressiver Verschmelzung verbunden, die mit dem praktischen Gebrauch der Vernunft unvereinbar sind“. Also zurück ins Kleinkindstadium: „Mitten in der Riesenschweinerei, dem ständigen Gemetzel, das die tierische Natur kennzeichnet, bestand die einzige Spur von Hingabe und Selbstlosigkeit in der Mutterliebe oder einem
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