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Landpartie mit drei Damen

Landpartie mit drei Damen

Titel: Landpartie mit drei Damen
Autoren: Nancy Mitford
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Roger?«
    »Das ist ein Pub in Chalford, wo ich mal übernachtet habe, als ich bei Nacht und Nebel ausziehen musste. Ganz nett dort, nettes kleines Mädchen hinterm Tresen – Minnie oder Winnie oder so ähnlich.«
    »Danke, solche netten kleinen Mädchen kenne ich selbst. Im Moment suche ich etwas anderes. Also, ich muss jetzt los.«
    »Wie wär’s, wenn du mich ausreden lässt.«
    »Entschuldige.«
    »Etwa eine Meile von Chalford entfernt liegt Chalford Park, und dort wohnt das Mädchen, das Englands reichste Erbin sein dürfte – Eugenia Malmains. Ich konnte damals keine Annäherungsversuche machen, weil sie minderjährig war. Das ist etwa vier Jahre her. Inzwischen müsste sie über siebzehn sein. Niemand weiß etwas über sie, weil sie bei ihren durchgeknallten Großeltern wohnt – sie selbst muss auch ziemlich durchgeknallt sein.«
    »Das macht nichts. Sie kann nicht durchgeknallter sein als die Mädchen, denen man in London überall begegnet. Ich finde, es klingt nicht sehr interessant, aber vielleicht verbringe ich irgendwann mal ein Wochenende in diesem Pub – wo liegt Chalford?«
    »Etwa zehn Meilen von Rackenbridge, das ist die Bahnstation. Die beste Verbindung ist der Zug 16.45 Uhr ab Paddington.«
    »Schön, vielen Dank, mein Lieber. Bis bald, hoffentlich.«
    »Hoffe ich auch. Und vielen Dank für das gute Essen.«
    Es klang ganz ungezwungen, aber beide waren sich völlig im Klaren über die Absichten des jeweils anderen. Als Noel tags darauf in Paddington eintraf, um den Zug um 11.50 Uhr nach Rackenbridge zu erwischen, war er daher auch keineswegs überrascht, auf dem Bahnsteig den wartenden Jasper zu sehen.
    Missmutig lieh er ihm das nötige Geld für die Fahrkarte und folgte ihm deprimiert in den Erster-Klasse- Speisewagen. Mittellose junge Männer, die gerade Nachricht von einer hübschen, wenn auch bescheidenen Erbschaft erhalten haben, sollten Jasper Aspect besser nicht anrufen.
    »Es ist ganz allein meine Schuld«, dachte Noel düster.

2

    »Briten, erwacht! Erhebe dich, britischer Löwe!«, rief Eugenia Malmains mit schriller Stimme. Sie stand auf dem Dorfplatz von Chalford auf einem umgedrehten Waschzuber und predigte einem Dutzend älterer Bauern. Der glatte Pagenkopf, die großen hellblauen Augen, der dunkle Teint, die wohlproportionierten Gliedmaßen und das ebenmäßige Gesicht in Verbindung mit einem gewissen Fanatismus in ihrer Gestik ließen sie wie eine moderne Johanna von Orléans erscheinen.
    Sie trug einen schlecht sitzenden grauen Wollrock, keine Strümpfe, alte Turnschuhe und eine Bluse, die allem Anschein nach aus einem Union Jack geschneidert war. Um die Hüfte hatte sie einen Ledergürtel geschlungen, in dem ein großer glänzender Dolch steckte.
    Noel Foster und Jasper Aspect schlenderten gerade durch das Dorf und warteten darauf, dass geöffnet würde. Der wahre Kneipenfreund begnügt sich selten damit, sein Bier im Hotel zu trinken, wo ihm das jederzeit bequem möglich ist. Unruhig wartet er stets auf den grandiosen Moment, da sich andere Möglichkeiten auftun. Das nennt man »Kneipentour«, ein Hobby, dem der Gentleman gern nachgeht.
    Plötzlich sahen sie Eugenia Malmains, die wie eine göttliche Erscheinung auf dem Waschzuber stand. Sie guckten verblüfft.
    »Das ist sie«, sagte Jasper sofort. »Das ist Eugenia. Ich habe sie nicht gleich erkannt. Donnerwetter, sie ist wirklich schön geworden seit meinem letzten Besuch hier, aber sie ist ganz offensichtlich durchgeknallt, genau wie ich gesagt habe. Na ja, man kann nicht alles haben im Leben. Was dagegen, mein Lieber, wenn ich mich an sie ranmache?«
    »Untersteh dich«, sagte Noel mürrisch. »Und überhaupt, halt die Klappe. Ich will hören, was sie sagt.«
    »Das Union Jack Movement ist eine junge Bewegung!«, rief Eugenia leidenschaftlich. »Wir haben genug von den Alten. Wir sehen die Dinge nicht mehr mit ihren Augen. Wir sehen nichts Bewundernswertes in diesem Debattierklub alter und korrupter Männer namens Parlament, das unsem großen Empire Kriege oder Verträge aufzwingt, seine Kronjuwelen verschleudert, seine glorreichen Kolonien wegwirft, seine bislang unangefochtene Seeherrschaft, sein Prestige im Ausland und den Wohlstand im eigenen Land – und all das nur der kapriziösen Mätresse eines achtzigjährigen Politikers zuliebe …«
    In diesem Moment näherte sich eine sehr alte Frau der Versammlung, drängte nach vorn und begann, an Eugenias Rock zu zupfen. »Eugenia, Kindchen«, sagte sie mit zittriger
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