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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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Algorithmus durch die UND-
    und ODER-Tore zu dem schlussfolgernden WENN ...
    DANN ... SONST zwirbeln, dann kommt sie mit einer
    Frage zur Krankenversicherung herein oder mit dem Hin-
    weis, dass die Eibe oder die Spindelbüsche daraufwarten,
    von ihm geschnitten zu werden, wie nur er sie mit seinem
    künstlerischen Auge schneiden kann – die Jungen, die den
    Rasen mähen, hacken daran herum wie schlechte Friseu-
    re. Sie schneiden nicht genug runter, oder sie schneiden
    Löcher und kahle Stellen hinein, die nie wieder zuwach-

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    sen. Oder aber sie stört ihn auf der Terrasse, wo er zum
    hundertsten Mal versucht, mit Flockenweiß, Kobaltblau,
    Ebenholzschwarz und einem Hauch von Römisch Ocker
    die über den Meereshorizont heranziehenden Regenwol-
    ken wiederzugeben, ihre entnervende Fast-Farblosigkeit
    und ihre gleichzeitig komplexe Struktur und ihre chaoti-
    schen Dämpfe, was auf Papier und mit Wasserfarben ledig-
    lich ein Pinselstrich wäre, aber mit Ölfarben eine mühe-
    volle Anhäufung winzigster dreidimensionaler Tupfer ist,
    die sicher bis morgen brauchen, um zu trocknen. Von frü-
    hester Kindheit an hat Owen sich vor dem Druck und den
    Unzulänglichkeiten der Realität geschützt, indem er sich
    ganz auf einen Bogen Papier konzentrierte, auf eine Laub-
    sägearbeit oder einen Klumpen Lehm, oder, unter Buddy
    Rourkes lakonischer Führung, auf eine Kupferverbindung
    in einem Zopf farbkodierter Drähte. Julia macht menschli-
    chen Krach und stellt ihn der alles andere ausschließenden
    Vertiefung ihres Mannes ins Unbelebte entgegen.
    Über das Haus sagt er im Scherz zu ihr: «Vielleic t
    h ist es
    wirklich zu groß, und wir sollten es verkaufen.»
    «Quäle mich nicht, du weißt, dass ich es liebe. Und ich
    liebe dich. Manchmal», sagt sie zu ihm, «sehe ich dich an,
    wenn du e
    s nicht merkst, und ich spüre einen Schauer, ei-
    nen physischen Schauer.»
    «Nach all diesen Jahren?», fragt er pflichtschuldig. Ihrer
    beider kindliches Geben und Nehmen, Wort für Wort, er-
    gibt eine Musik, die nie ihren Reiz verliert, komponiert für
    tausend Wiederholungen.
    «Oh, ja», antwortet sie pflichtschuldig. «Sogar mehr
    statt weniger. Da ist etwas in deinem B ick,
    l
    wenn du nicht
    weißt, dass jemand dich ansieht.»
    «Du bereust es also nicht ... das mit uns?»
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    4
    «Oh, nein. Eigentlich nicht. Ich bin froh. Du nicht?»
    «O doch», sagt er.
    Und doch entdeckt sie, so meint er, an ihm immer mehr,
    was sie in Rage versetzt. «Du sollst nicht mitten in der Kü-
    che essen», schreit sie plötzlich, als hätte sie einen elektri-
    schen Schlag bekommen. «Iss über dem Spülbecken, wenn
    du die ganze Zeit essen musst. Ich habe noch nie jemand
    gesehen, der so beharrlich isst. Kein Wunder, dass deine
    Zähne immer so eklig sind.»
    Als Kind in der Mifflin Avenue hatte er Angst gehabt,
    das Essen würde ausgehen, deshalb ging er oft an einer
    Selleriestange knabbernd oder an einer erdigen Mohrrü-
    be, die frisch im Garten geerntet worden war, durchs Haus.
    Phyllis war es anscheinend nie aufgefallen, dass er sich aus
    nervöser Gewohnheit oft Brezeln, Nüsse oder Kekse aus
    dem Brotfach nahm, um eine plötzlich gespührte Lücke in
    sich zu füllen. Er schlägt zurück: «Ich finde es grässlich,
    über e
    d m S ü
    p lbecken z
    u essen, ich komme mir v r
    o wie ein
    Hund über seinem Napf.»
    «Auf dem Fußboden liegen überall Krümel, und die
    Putzfrauen waren gerade erst hier.» Die geschäftigen Bra-
    silianerinnen mit ihren ausladenden Hinterteilen: Wenn
    sie untereinander sprachen, war ihre Sprache voller be-
    schwichtigender Laute, wie das Russische. Owen vermu-
    tete, dass große Länder unglücklicher waren als kleine: die
    größere Verantwortung.
    «Und schlürf nicht so», sagte Julia, wenn er Suppe aß.
    Sie brachte nur selten Suppe auf den Tisch, als wollte sie
    ihm eine Lektion erteilen. «Du hast eine so erbärmliche
    Kinderstube gehabt. Was hat sich deine Mutter bloß ge-
    dacht?»
    «Sie hat improvisiert. Sie war vorher nie Mutter gewe-

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    sen. S e
    i hatte das Gesamtbil
    d vor Augen, nicht die Tisch-
    manieren.»
    «Mit guten Manieren fängt alles an», sagt Julia, und er
    nimmt diese Weisheit an – von ihr, die, wie es aussieht,
    die letzte in der Reihe seiner Lehrmeistermnen ist. «Mein
    Vater pflegte zu sagen, Manieren sind eine Form der Höf-
    lichkeit, und Höflichkeit ist eine Form von Güte.» Dann
    fährt sie fort: «Das sage ich auch zu meinen Enkelkindern.
    Und sieh dir
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