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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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Oberfläche
    kam: Als er neun oder zehn war, zog seine Mutter, mit
    ihrem kastanienbraunen Haar, gelegentlich Shorts an, in
    denen ihre blassen, immer dickeren Beine zu sehen wa-
    ren, und ging mit ihm und zwei Schlägern in Holzrahmen
    durch den Garten des Hauses an der Mifflin Avenue und
    über das weite Gelände der Highschool, vorbei an der
    Aschenbahn und den kleinen Tribünen des von einem
    Ascheweg umgebenen Fußballplatzes und entriegelte

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    die Pforte, die zu Willows vier öffentlichen, von dickem
    verzinktem Maschendraht eingezäunten Tennisplätzen
    führte. Er und sie versuchten zu spielen. Beide hatten
    nie Unterricht genommen; es war frustrierend, so viele
    Bälle landeten im Netz (das auch aus schwerem Spiel-
    felddraht war, der sang, wenn er getroffen wurde) oder
    flogen in hohem Bogen durch die Luft, sodass der ande-
    re sie nicht erreichen konnte. Es war ihm peinlich, dass
    sie in ihrer nacktbeinigen Gestalt dieses einsame Spiel
    mit ihm spielte, bei dem ihr Gesicht wegen ihrer unge-
    schickten Anstrengungen immer röter wurde; Straßenbah-
    nen und Autos fuhren auf der Alton Pike vorbei, so nahe,
    dass Leute zu dem kleinen Jungen und der erwachsenen
    Frau, die den widerspenstigen Ball hin- und herzuschla-
    gen versuchten, herüberstieren konnten. Erst heute konn-
    te Owen ihre Absicht erahnen: Sie wollte gegen ihr Ge-
    wichtsproblem ankämpfen, mit dem sie nicht mehr fertig
    wurde, und ihrem Sohn beim Erwerb einer Fähigkeit hel-
    fen, die er im Leben vielleicht brauchte. Tatsächlich kam
    es dazu, dass er in dem spielfreudigen Milieu von Middle
    Falls eine Menge Tennis spielte, obwohl seine Rückhand
    nie besonders stark war; er gab es dann früh auf, in den
    ersten Jahren seiner Ehe mit Julia, wegen der Schmerzen
    im Rollmuskel, wenn er sich in den Aufschlag zu strecken
    versuchte. Aber das Spiel war für ihn immer überschattet
    gewesen von dieser peinlichen Erinnerung an die öffentli-
    che Anstrengung mit seiner Mutter, den Ball hin und her
    über das Netz zu schlagen, während Leute in den Stra-
    ßenbahnen herüberstarrten; die flauschigen Bälle – damals
    waren sie weiß – zeugten von kläglicher Ohnmacht, wenn
    sie immer wieder mit einem traurigen, vibrierenden Klang
    auf die Drahtmaschen des Netzes oder des Zauns prall-

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    ten. Mutter und Sohn wirkten hoffnungslos verloren, bei-
    de, dort, am jenseitigen Ende des flachen Schulgeländes,
    aneinander gekettet in einer gemeinsamen Tortur, wie sie
    es bei seiner schmerzhaften Geburt gewesen waren.
    Sie war schließlich gestorben, ein paar Jahre nach seiner
    Hochzeit mit Julia; unter den wenigen Hochzeitsgästen
    an jenem Tag in Lower Falls hatte sie eine eindrucksvol-
    le, weißhaarige, stattliche Figur abgegeben. Sie hatte nicht
    mehr die Energie, zwischen sich und Julia die Spannungen
    aufzubauen, die zwischen ihr und ihrer ersten Schwieger-
    tochter bestanden hatten; vielmehr ordnete sie sich der
    Jüngeren unter und unterwarf sich ihr sogar, als Julia ihr
    geschickt die durch Osteoporose geschädigten Schultern
    und den Nacken massierte. Sie hatte sich nie gern anfassen
    lassen, oder hatte das zumindest geglaubt. «Julia», sagte sie
    zu ihrer zweiten Schwiegertochter, «du hast eine heilende
    Hand. Owen sieht so viel besser aus, seit er sich mit dir
    zusammengetan hat. Davor sah er immer so verkniffen, so
    teigig aus, stimmt’s?»
    «In meinen Augen hat er immer sehr hübsch und ehren-
    wert ausgesehen», sagte Julia, ohne wirklich zu antworten,
    und schloss zufrieden die Lippen. Es war wie damals, als
    Elsie öfter zu ihnen nach Hause kam und seine Mutter mît
    lebhafter Höflichkeit in die Schranken wies: Sie forderte
    ihren Anteil an dem Sohn. Frauen sind besitzergreifend.
    Die Welt ist in ihre Machtbereiche aufgeteilt. Ein Lächeln,
    ähnlich dem Elsies, zog Alissas Lippen in die Breite, ihr
    schwitzendes Gesicht nur wenige Zentimeter vor seinem,
    wenn ihre mattblauen Augen tintenblau wurden. Wir spre-
    chen davon, dass der Mann die Frau besitzt, doch ist es die
    Fr
    e
    au, di Besitz ergreift.
    Seine Mutter starb ordentlich, schnell, an Herzversagen,
    40
    0
    in ihrem kleinen Haus auf dem Land, nachdem sie sich
    in einem ungewöhnlichen Anfall von Hausarbeit überan-
    strengt hatte. Sie lag neben dem alten Hoover-Staubsau-
    ger, dessen Motor durchgebrannt war, auf dem sauberen
    Teppich. Alle vier Erwachsenen, mit denen Owen als Kind
    gelebt hatte, starben ordentlich, unsichtbar, als wollten sie
    ihm Unannehmlichkeiten
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